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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schlägt Purzelbäume …
    Nur mit halbem Blick besichtigte Marko an der Seite Zablinskys die Werkstätten und das Magazin, Küche und Bäckerei, die Stolowaja und die große Zentral-Banja, die Quarantänestation und die Fleischerei. Hier, beim Anblick der zertrennten Ochsenhälften, der an den Haken pendelnden Fleischstücke, erinnerte sich Marko an die Anatomie von Kischinew. Das wäre ein Weg, sagte er sich. Meine Beziehungen zum toten Fleisch sind mein Schicksal. Versuchen wir es nachher. Er lief neben Zablinsky her wie ein Hündchen, ließ sich alles erklären, staunte mit verblüffender Natürlichkeit über Dinge, die ihm längst kein Augenzwinkern mehr abverlangten wie etwa die Arbeitskolonne, die den Vorplatz des Krankenhauses vom Schnee leerfegte, am Ende des Platzes kehrtmachte und dann wieder mit den Besen losmarschierte, weil der Wind erneut Schneedecken über den Platz legte, eine wahrhaftig sinnlose Arbeit von zehn tiefvermummten Männern, aber sie wurde mit einem Ernst ausgeführt, als handele es sich um Diamantenschürferei. Ein Kapo lief nebenher, brüllte, kommandierte, versuchte einen Rhythmus in das Fegen hineinzubekommen, ließ die zehn Mumien singen und bekam sie endlich in einen schleifenden Takt.
    Zablinsky erklärte: »Sie drängen sich zu dieser Arbeit. Die leichteste im Lager. Im Steinbruch singt keiner. So, und jetzt das Krankenhaus.«
    Marko steckte die Hände in die Taschen. Sie zitterten so stark, daß er sich selbst davor fürchtete.
    Im Flur standen wieder Verurteilte und warteten auf die Untersuchung. Ein Mann lag eng an der Wand und stöhnte. In einem großen Zimmer arbeiteten drei Ärzte.
    Marko suchte Igor, aber es waren fremde Gesichter. Zablinsky stieß Marko vorwärts.
    »Nein, nein, da ist er nicht, der Spinner!« lachte er. »Der operiert bereits. Zuerst sollte er selektieren, aber dann hat der Chefarzt …« Zablinsky wedelte mit beiden Händen, als verscheuche er einen Mückenschwarm. »Wenn wir dem Chef begegnen … weitergehen und grüßen. Gott möge das verhüten –«
    *
    Im Operationstrakt herrschte Schweigen und Sauberkeit. Es roch nach Lysol, Äther und verdunstetem Blut. Auch nach verbranntem Fleisch. Aha, dachte Marko. Er koaguliert. In Workuta. Igor, mein Söhnchen, ich küsse dich. – Zwei Krankenpfleger in sauberen weißen Kitteln schoben ein Rollbett durch die gegenüberliegende Tür. Sie musterten Marko erschrocken, starrten dann Zablinsky an und drückten das Bett schnell in den Vorbereitungsraum.
    »Dürfen wir das denn?« fragte Marko. »Wir sind nicht steril.«
    »Natürlich dürfen wir es nicht.« Zablinsky winkte. Er stand an der OP-Tür und hatte sie einen Spalt aufgedrückt. »Schnell … verdammt, beeile dich … es ist eine günstige Minute. Der Chef steht mit am Tisch –«
    Marko schob sich neben Zablinsky. Durch den Spalt spähte er in den Operationssaal. Das vertraute Bild … weiße Kittel, ein schmaler Tisch mit einem abgedeckten Körper, darüber die Lampen, nicht, wie in einer richtigen Klinik, die in Spiegel eingebetteten, starkkerzigen Scheinwerfer, sondern hier waren es nur vier an langen Strippen baumelnde Birnen, ohne Schirm, trostlos wie alles hier oben im Norden. Marko sah Igor Antonowitsch sofort … er stand am Tisch, hatte die Gummischürze umgebunden, den Mundschutz, die Kappe auf dem Kopf und operierte eine große Oberschenkelverletzung. Ein jüngerer Arzt assistierte ihm, vier andere Ärzte standen wie neugierige Marktweiber herum, die Hände auf dem Rücken. Ihm gegenüber aber – Marko schlug erschrocken ein Kreuz, als er sie erkannte – stand ein kräftiges Weib, die Gummischürze eng um den schwungvollen Leib, und ihre schwarzen Haare quollen unter der OP-Kappe hervor.
    Zablinsky zog schnell die Tür zu. »Gehen wir«, sagte er betroffen. »Wenn die Dussowa uns sieht, ist ein Schneesturm nur ein Sommerlüftchen.«
    Marko nickte, als verstünde er es. Mit beiden Händen putzte er sich die Stirn. Sie waren klebrig von Schweiß, als er sie an der Hose abstreifte.
    O Himmel hilf, dachte er. Marianka in Workuta! Ein wahres Teufelchen da, wo es hingehört: in die Hölle. Und Igorenka ist ihr wehrlos ausgeliefert.
    Bedrückt watschelte er Zablinsky nach, der es jetzt sehr eilig hatte. Es war Zeit, den Wachtruppen-Appell abzunehmen. Die 2. Kompanie unterstand Zablinsky und wartete schon eine halbe Stunde angetreten vor dem Zaun.
    »Sieh dich um, Marko Borissowitsch«, sagte er hastig. »Nach dem Dienst hole ich dich wieder ab.

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