Heiß wie der Steppenwind
sich noch nie darüber Gedanken gemacht, daß im Atomzeitalter alles entbehrlich ist, nur nicht eine Schlachterei?!«
»Das ist ein verblüffender Gedanke«, stotterte Jewronek. »Wer sind Sie, Genosse?«
»Ich heiße Godunow. Marko Borissowitsch.«
Jewronek nickte, schon halb überwältigt. Wenn so etwas Godunow heißt, kann man nur noch zum Mond flüchten.
»Ihre Aufgabe bei mir, Genosse Godunow?«
»Genaues anatomisches Zerteilen des Fleisches! Wird das hier gehandhabt?«
»Welche Frage! Ich habe vierunddreißig Fleischer in meiner Brigade. Wir erfüllen das zweifache Soll! Wir zertrennen wie die Roboter.«
»Das ist es! Wie die Roboter! Roboter sind Maschinen, Computer, die programmiert werden. Wer programmiert sie? Der Genosse Jewronek! Aber – programmiert er richtig?! Das ist zu überprüfen. Ich möchte es sehen. Gehen wir in den Verarbeitungssaal, und ich beweise Ihnen, daß die nötige Intelligenz beim Fleischzerteilen fehlt. Mit einem Messerchen schneiden, kann jeder Idiot … aber mit dem Messer die Schönheit des Fleisches hervorzutrennen, das ist die Kunst. Wer beherrscht sie?«
Jewronek beschloß, sich still zu verhalten und abzuwarten. Daß ein Mensch wie dieser Godunow alle Kontrollen passiert hatte und sich offensichtlich frei im Lagerbereich bewegen durfte, war Legitimation genug. Da fragt man nicht lange, da steckt man den Kopf zwischen die Schultern und läßt sich überraschen.
Was weiß so ein unbekannter, plötzlich hereingeschneiter Bursche? Von welcher Dienststelle kommt er? Das ganze Gefasel von Atomzeitalter und Gagarin – was hat Gagarin mit Rindfleisch zu tun? – kann nur ein Trick sein, ein blödes Gerede, um abzulenken vom eigentlichen Auftrag.
Jewronek zog die Jacke über und rechnete schnell durch, wieviel Schwund er in den Büchern verzeichnet hatte, wieviel heimlich zur Seite geschafft worden waren, wieviel sein Schwiegervater mit einem Pferdekarren unterm Stroh abtransportiert hatte und wie hoch das Gewicht war, das Jakob Iljitsch Mumunow mit seinem Lastwagen jede Woche abholte und gute Rubel dafür bezahlte. Dann rechnete er den Eigenverbrauch durch, die Geschenke aus Haxen und Filets, die er Marenka, einer Schneiderin in Workuta-Stadt, gemacht hatte, und wen wundert's, daß Jewronek trotz seiner Riesengröße ganz klein wurde und willig wie ein Tanzbär an der Leine dem winzigen Godunow folgte.
»Aha!« sagte Marko, als sie im Verarbeitungssaal standen. Auf langen Holztischen mit dicken Platten aus Massivholz stapelten sich die Ochsenhälften und geviertelten Rinder. Die Fleischer, meist Kriminelle, die in den verschiedenen Lagern vom Beruf eines Straßenräubers zum Metzger umgelernt hatten, genossen noch die Mittagspause und saßen auf Hockern vor ihren blutigen Fleischbergen.
»Man sehe sich das an!« rief Marko so laut, daß es alle hören mußten. »Welch ein Barbarismus! Genosse Jewronek … das hier ist ein Bugstück! Wenn Sie nun die Aufgabe hätten, einen saftigen Braten mit kurzer Faser herauszuschälen, – was machen Sie dann?«
Jewronek lächelte schwach. Eins ist klar, durchfuhr es ihn, – er versteht was vom Handwerk. Er kennt die Stücke, er kennt die Fasern … Vorsicht, Brüder, er will uns hereinlegen! Er ist von einer Kommission! Aber wundern wird er sich, wundern! Wir zeigen ihm, was sozialistische Leistung ist! Jewronek ergriff das große Trennmesser, beugte sich über das Bugstück und – ritsch, ratsch – sicher und schnell lag ein saftiges Bratenstück vor Marko Borissowitsch. Der drückte auf den Braten, sah Jewronek ernst an und schob das Stück weg. Jewronek erbleichte leicht.
»Sehr gut, Genosse«, sagte Marko mit tiefem Ernst. »Aber ich sehe, Ihnen fehlt die lateinisch-anatomische Kenntnis.«
Die anderen Metzger drängten nun herbei, umringten Marko und den Natschalnik und starrten auf die Hände des Zwerges.
»Jedes Zerteilen ist ein Sezieren. Man muß die Sehnen kennen, die Muskeln, die Blutgefäße, die Knochen, die Innenhäute, die geheimnisvollen inneren Zusammenhänge. Passen Sie auf.«
Was nun geschah, war eine Gipfelleistung an Beredsamkeit, von der Jewronek einfach überspült wurde wie von einer salzigen Meereswoge. Marko nahm das Messer, zog mit einer Kraft, die allein schon unverständlich war, ein Rinderviertel näher zu sich und wies mit der Messerspitze auf den blutigen Berg. »Das hier ist der Muskulus transparentus Imperator«, sagte er todernst. »Er steht in Wechselwirkung mit dem Muskulus infernalis
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