Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
auf, senkte den Kopf, drückte das gewaltige Kinn an den Röhrenhals und versuchte mit der Zaghaftigkeit eines ängstlichen Kindes ein Lächeln. »Sprachen Sie von zwei Kilo, Genosse Marko?«
    »Sie haben richtig gehört, Jewronek. Ich spreche manchmal wirklich undeutlich …«
    Von diesem Tag an änderte sich das Verhältnis Markos zu Jewronek. Mochte er auch ein Spitzel sein, wie der Natschalnik noch heute vermutet, so war der Zwerg ein Spitzel mit Herz. Und was kann einem Russen Besseres passieren, als einen Kontrolleur, der Mitwisser und Mittäter ist? Hier erst beginnt das Leben erträglich und in gewisser Hinsicht frei zu werden …
    *
    Der Transport zum Frauenlager fuhr los. Drei Lastwagen, jeweils ein Fahrer und drei Begleiter. Fünfzehn Kilo Fleisch verschwanden unter dem Sitz des Fahrers Boris Issarowitsch Lupikow, einem dunkel blickenden Mann, der den ersten Wagen steuerte und sich Vormann der Transportbrigade ›Workuta Fortschritt‹ nannte. Er musterte Marko unter buschigen Brauen, nachdem ihm Jewronek einige schnelle Worte ins Ohr geflüstert hatte.
    »Soll ich das Insekt unterwegs verlieren?« brummte er zurück.
    »Um aller Heiligen willen – nein! Er ist eine wichtige Persönlichkeit. Er hat drei Augen, sieht alles, aber kneift vier zu. So etwas verliert man doch nicht. Solange er unser Freund ist, wird auch unser Geschäft nicht beeinträchtigt. Was er auch sagt, stimme ihm zu. Und wenn er fragt, überleg jedes Wort.«
    »Die Zunge werde ich mir festkleben. Wieviel bekommst du heute?«
    »Fünfzig Rubel.«
    »Das ist eine Unverschämtheit, Jewronek.«
    »An diesen fünfzig Rubelchen hängen einige Liter Schweiß, Stunden mit Herzklopfen und Angst, Heiserkeit vom Reden … du kannst das nicht begreifen, Boris Issarowitsch. Wenn man bedenkt, was die Richter sagen werden, wenn sie uns vor sich stehen haben –«
    Der dunkle Lupikow bezahlte das Geld, stopfte den Sack weg und kletterte mürrisch in sein Fahrerhaus. Das Beladen war Sache der dafür abgestellten Häftlinge. Sie trugen die Schweinehälften und die Rinderviertel auf dem Rücken zu den Lastwagen, und ein Kapo lief neben ihnen her und paßte auf, daß sie während des Tragens nicht Fleisch abbissen und es roh fraßen. Um dies von vornherein zu verhindern, funktionierte man das Verladen zu einer Art Sporttraining um und trieb die Träger zu einem zwar müden, aber immerhin deutlichen Laufschritt an. »Schneller, schneller!« schrien die Kapos. »Und im Takt … iiiim Taaaakt … Eins-zwei … eins-zwei … eins-zwei …«
    Und so stolperten die ausgehungerten, in Steppjacken und Wattehosen vermummten Gestalten mit ihren Schweinehälften auf dem Rücken durch den festgetretenen Schnee, rochen das Sattsein, trugen das Leben auf ihren Schultern, luden ab, wovon sie jede Nacht träumten, in immer neuen Visionen und Versionen, rannten zurück zur Rampe, wo die fetten Metzger standen und ihnen wieder das Fleisch auf den Nacken schoben.
    »Dawai … schneller … schneller … und im Taaaakt … einszwei … eins-zwei …«
    Berge von Fleisch! Gebirge der Sehnsucht. Drei Lastwagen voll. Marko stand zwischen den Autos und sah dem grausamen Spiel zu. Er war zum bloßen Zusehen verurteilt, und er hatte ja selbst in einer Art Brotbeutel aus Zeltstoff zwei Kilo besten Bratens um den Hals hängen … ein Kilo für Igor, ein Kilo für Dunja, wenn er sie sehen würde … er war jetzt mitschuldig geworden, bestahl diese Jammergestalten da um ihr Fleisch, um ihr Recht, zu essen und damit zu leben. Nur zwei Kilo … aber sie bedeuteten für zwanzig Menschen einen Tag lang das Gefühl des Sattseins.
    Marko schluckte, dachte an seinen Igorenka und ertrug sein schlagendes Gewissen. Er beobachtete einen Träger, der nun schon zum viertenmal ein Rinderviertel heranschleppte, schwankend unter der Last, mit verdrehten Augen und einknickenden Beinen. Jetzt weinte er, als er den Brocken kalten Fleisches auf den Wagenboden abwarf und ihm nachblickte, wie er hineingezogen und gestapelt wurde. Die Wagen waren mit Blech ausgeschlagen, das Blut lief über den Boden und tropfte in den Schnee. Und der alte Mann – Marko schätzte ihn auf fast siebzig – blickte sich wieselschnell um, der Kapo stand abseits, die Gelegenheit war günstig wie nie, dieser alte Mann in seiner aufgerissenen, hundertfach geflickten Fofaika, bückte sich, fing mit hohlen Händen das Blut auf, saugte es in sich hinein, stürzte sich dann auf das Bodenblech des Wagens und leckte auch von dort das

Weitere Kostenlose Bücher