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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Blut ab. Dann warf er sich herum, seine Augen glänzten vor Wonne, sein schmächtiger Körper straffte sich, als habe man einen Pfahl in sein Rückgrat gerammt, er zwinkerte Marko zu, der verschämt die Augen niederschlug, und rannte zurück zur Fleischereibaracke. Beim sechsten Rinderviertel hielt Marko den Alten an. »Wer bist du?«
    »Afanasij Nikolajewitsch Schubankow, Genosse.« Der Alte stand stramm, den Fleischberg auf dem Rücken. »Professor für anorganische Chemie an der Universität von Tiflis.«
    »Und warum bist du hier?«
    »Ein 58er, was sonst; Artikel 4. Bourgeoise Unterwanderung der Sowjetunion. Ich habe geduldet, daß meine Studenten in meinem Institut eine Versammlung abhielten und Kritik am Hochschulwesen übten.«
    Ein Kapo umkreiste sie wie ein Hirtenhund die Herde, bis Marko ihm abwinkte. Mit einem schiefen Blick tollte sich der Kerl, natürlich ein Krimineller, rannte zu Jewronek und beschwerte sich.
    »Was willst du Ratte?« schrie Jewronek. »Ein Wort quieken über den Genossen Godunow?! Ist dein Hirn eingefroren? Ein Wink von diesem Genossen, und sie ziehen dich als Putzlappen durch die Scheißröhren!«
    »Er flüstert mit einem Kontrik«, schnaubte der Kapo.
    »Na und? Aushorchen wird er ihn. Hinaus, du Idiot.« Er verabreichte dem Kapo einen Tritt, und wer jemals von Jewronek getreten worden ist, kann verstehen, daß ein Mensch eine ganze Strecke waagerecht und unter Aufhebung der Schwerkraft schweben kann.
    »Beiß hinein –«, sagte Marko schnell, als der Kapo sich noch im Schnee wälzte. »Los, glotz mich nicht an … beiß ins Fleisch, reiß dir ein Stück ab und versteck es in der Backe. Mein Gott, Professor sein und so blöde …«
    Schubankow riß den Kopf zur Seite, schlug die Zähne in das blutige Fleisch und biß ein Stück ab. Es war nicht viel, die Zähne waren dem Reißen entwöhnt, und man glaubt gar nicht, wie schwer es ist, aus einem massiven Brocken Fleisch ein Stück abzubeißen … aber es war genug, um wie ein Kloß in der linken Backe zu liegen. Ein Kloß Leben.
    »Gott segne dich«, stammelte Schubankow. Aus seinen Augen stürzten Tränen. »Es gibt noch Menschen in Rußland.« Dann stolperte er weiter, lud sein Rinderviertel am Wagen zwei ab und zerkaute beim Rücklauf den Fleischkloß in seinem Mund. Er war so fröhlich, daß er fast hüpfte. Ein Professor für anorganische Chemie.
    Nachdenklich sah Jewronek den drei Lastwagen nach, als sie langsam die breite Lagerstraße hinunterrollten und durch das große Tor den äußeren Lagerbereich verließen. Man sollte den Kollegen vom Frauenlager warnen, dachte er. Auch er ist ein armer, geplagter Mensch, der sich mit dem Schwund herumschlagen muß. Nur hat er's schwerer. Sein Fleisch ist von uns knapp durchgewogen, und wenn es bei ihm weiterschrumpft, muß er an Erklärungen erfindungsreich sein. Weiß man, was der ekelhafte Zwerg mit ihm anstellt?
    So kam es, daß Marko kein Unbekannter mehr war, als sie ins Frauenlager donnerten. Das heißt, das Lager war ihnen versperrt, man ahnte nur hinter den hohen Bretterpalisaden, daß einige hundert Frauen dort lebten. Alle Betriebe, und dazu gehörten, Küche, Werkstätten, Magazin und Bäckerei, in denen Männer beschäftigt waren, hatte man außerhalb des Lagers angesiedelt. Das war vernünftig, denn man stelle sich vor, wie fast tausend Frauen reagieren, wenn plötzlich ein paar Männer mitten unter ihnen herumlaufen. Man kann einen Wildbach regulieren, das Meer eindeichen, einen Wasserfall umleiten, Ebbe und Flut in Elektrizität umwandeln, aber versuche einer, tausend Frauen von ein paar Männern fernzuhalten, wenn unter den Röcken Brände ausbrechen.
    Die einzigen Männer im Frauenlager hatten es schwer genug. Der Kommandant, die Wachsoldaten, die Ärzte … wo sie auftauchten, wurden sie von Weiblichkeit überfallen. Sie schützten sich durch Brutalität. Mit kleinen Handpeitschen schlugen sie um sich und kamen sich oft vor, als seien sie dazu verurteilt, eine Herde Raubtiere zu dressieren.
    Das war alles gar nicht oder selten sichtbar, meist liefen die Frauen geduckt herum, im Sommer in farblosen langen Kitteln, im Winter eingestopft in ihre Wattekleider und mit Stroh ausgepolsterten Stiefeln. Hunger und Verzweiflung drückten sie nieder, aber die Natur in ihnen rumorte weiter, untergründig, urhaft, schlug sich nieder in den Gesprächen von Pritsche zu Pritsche, in stöhnenden Selbstbefriedigungen und heißen gegenseitigen Umarmungen.
    Die langen Winterabende

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