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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gepäckstange fest und legte die Stirn auf seinen rechten Unterarm. Vorbei. Mit einem Riß für immer vorbei. Es gibt keinen Pjetkin mehr. Der Mann mit dem Kneifer hatte es vorausgesagt: In Brest-Litowsk werden Sie Deutscher. Er hatte es nicht geglaubt, nicht in so brutaler Form, so schnell, so verachtend, so vernichtend …
    Der polnische Schaffner klopfte an die Scheibe. Er sprach deutsch, und Pjetkin fragte sich erschreckt, ob er auf einmal so deutsch aussah, daß ihn jeder als Deutschen erkannte. »Bitte Fahrkarte.«
    Ein hartes Deutsch und doch weicher, als wenn es ein Russe spricht.
    Pjetkin gehorchte ohne Fragen, zeigte seine deutschen Papiere, die deutschsprachigen Marschbefehle, die Fahrkarten. Das wiederholte sich bei der Paßkontrolle. Die polnischen Beamten behandelten ihn wie ein rohes Ei – sie fragten nicht, aber die Sperre seines Abteils wurde aufgehoben. Drei Polen nahmen noch Platz, nickten Pjetkin freundlich zu und verschwanden dann hinter ihren Zeitungen.
    Noch einmal blickte Pjetkin aus dem Fenster, als der Zug wieder anfuhr. Er sah die beiden sowjetischen Offiziere bei den polnischen Paßbeamten stehen und sein Mund zuckte. Die Uniform Baranurians. Die Uniform der Dussowa. Die Uniform seines Vaters.
    »Ich bin ein Pjetkin –«, sagte er leise gegen die beschlagene Scheibe. »Was nutzt es, Papiere zu zerreißen und mich leben zu lassen?«
    Langsam ging er zum Speisewagen, die Tische waren weiß gedeckt, drei polnische Kellner empfingen ihn wie in einem Luxushotel.
    »Abendessen, mein Herr?«
    Schon wieder deutsch. Genügt schon ein deutscher Name, um deutsch zu stinken?
    Pjetkin warf den Kopf in den Nacken. Brechen wir durch, dachte er. Zerreißen wir die Mauer unserer Seele. Ich habe das Morgen betreten.
    »Ja, bitte«, antwortete er ebenfalls auf deutsch. Er setzte sich, schob die Speisekarte zur Seite und blickte die polnischen Kellner hochmütig an. So muß sich ein Deutscher benehmen, empfand er. So hat man ihn uns beschrieben. Immer etwas vom Herrn der Welt im Knopfloch. »Was können Sie anbieten?«
    »Eine gebratene, mit Rosmarin gewürzte Lammkeule, mein Herr.«
    »Wein?«
    »Ungarischen, österreichischen, deutschen, französischen. Die Weinkarte, Frans …«
    Der zweite Kellner wollte davonlaufen, Pjetkin hielt ihn mit einem Wink fest. »Keinen russischen? Grusinischen etwa?«
    »Nein.« Die Gesichter der Polen wurden eisig. »Wir haben nichts Russisches, mein Herr.«
    »Rheinwein?«
    »Natürlich. Einen 66er Niersteiner Auflangen Spätlese. Eine halbe Flasche, mein Herr?«
    »Ja.«
    »Und die Lammkeule?«
    »Ja.«
    »Mit Kartoffeln?«
    »Ja.«
    »Gemüse? Wir haben gute Sauerbohnen. Oder Essiggurken?«
    »Bohnen.«
    »Sie werden zufrieden sein, mein Herr.«
    Pjetkin starrte auf das weiße Tischtuch. Neben ihm flog in der Nacht das polnische Land vorbei. Der Schaffner ging durch den Speisewagen und rief: »Nächste Station Siedice.« Auf polnisch und auf deutsch.
    Pjetkin aß und trank wie ein Automat, den man mit Fetten und Ölen füttert. Der deutsche Wein – zum erstenmal trank er ihn – verblüffte ihn. Er war sauer für seine Begriffe, wenn man nur den Muskatellergeschmack der kaukasischen Weine gewöhnt ist, aber er trank ihn aus, bestellte noch ein Flasche, bekam Sodbrennen und spülte den Magen mit dem weichen, herrlichen polnischen Wodka.
    Warschau sah er nicht … er schlief wieder seinen Rausch aus. In Posen wurde er wach, weil seine drei Abteilgenossen den Zug verließen und ihm beim Herunterheben des Gepäcks ein kleiner Koffer auf den Kopf fiel. Die drei entschuldigten sich wortreich, ihre Höflichkeit lähmte Pjetkin. Wenn das Marko geschehen wäre, dachte er. Dieses Geschrei, diese Diskussionen, diese Beschimpfungen und Beleidigungen. Hier aber verbeugt man sich galant, erkundigt sich nach dem Grad der Schmerzen und leidet offensichtlich mit. Von Posen bis Frankfurt/Oder war er wieder allein im Abteil, erlebte den Sonnenaufgang und sah mit einer unerklärbaren Ergriffenheit, daß er in den Frühling hineinfuhr.
    Mit Zittern im Herzen wartete Pjetkin auf seine erste Begegnung mit Deutschen. Mit den deutschen Zoll- und Paßbeamten, deutschen Schaffnern, deutschen Kellnern, deutschen Reisenden. Ein vertrauter Ton traf in Frankfurt/Oder sein Ohr … ein Mensch in Uniform brüllte. Er schrie nicht »Dawai, dawai«, sondern »Pässe bereithalten!«, stieß die Abteiltüren auf und wuchtete hinein, als gälte es, einen Mörder gleich auf der Stelle aufzuhängen. Er war von

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