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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Macht seiner Uniform so überzeugt, daß er Pjetkin, der seine deutschen Papiere suchte, ungeduldig anfuhr: »Na schnell doch!«
    »Geduld ist das Getränk des Weisen«, sagte Pjetkin auf russisch. Das verwirrte den Uniformierten, er blickte in die hingereichten Papiere und schob die Unterlippe vor. »Lassen Sie den Blödsinn!« fauchte er. »Hans Kramer? Königsberg. Bisher wohnhaft in Workuta. Wohin wollen Sie?«
    »Steht auf der Fahrkarte«, antwortete Pjetkin auf deutsch.
    »Das weiß ich. Ich will es von Ihnen hören.«
    »Warum?«
    Nichts verwirrt mehr als die einfache Frage: warum? Probieren Sie es aus – blicken Sie einen, den Sie sprachlos sehen wollen, scharf an und fragen Sie ganz harmlos immer nur: Warum? Sie werden erleben, daß ihr Partner kapituliert. Der Mensch in Uniform warf Pjetkin die Papiere zu und verzichtete auf Erklärungen. Aber durch das Fenster sah Pjetkin, wie er mit dem Schaffner und dem Zollbeamten sprach. Sie stiegen in den Zug, und Pjetkin erwartete sie mit Ungeduld. Deutschland begann, interessant zu werden. In Rußland eckte Pjetkin an, in Deutschland Hans Kramer. Was unterscheidet eigentlich beide Völker voneinander? Die Zollkontrolle war sehr genau, ganz nach Paragraph. Pjetkin öffnete beide Koffer und zeigte seine wenigen Schätze. Da alles neu war, zog der deutsche Beamte die Brauen zusammen. »Wo gekauft?«
    »In Moskau.«
    »Solche Sachen? Diese Hemden? Diese Unterhosen? Halten Sie mich für blöd? In Moskau? Hab' ich 'ne Macke?«
    »Ob sie hirngeschädigt sind, kann ich nur nach einem EEG feststellen«, sagte Pjetkin sanft. »Ich kann Ihre Hirnströme messen –«
    »Mitkommen!« schrie der Zollbeamte und lief rot an.
    Der Zugführer hatte ein eigenes Abteil und füllte gerade die Übergabepapiere aus, als der Zollbeamte mit Pjetkin erschien.
    »Einen erwischt?« fragte der Zugführer.
    »Nee. Aba mit dem da muß ick mir mal unterhalten.« Der Zöllner zeigte auf die Sitzbank. Gehorsam setzte sich Pjetkin. Gehorchen hatte er gelernt – es war mühsam, sich die Tage zusammenzuzählen, an denen ihm nicht befohlen war. Eigentlich waren es nur die Tage mit Dunja allein, diese wenigen seligen Stunden am Amur … Dunja.
    Ob man sie schon entlassen hat? Vielleicht packt sie jetzt ihre Sachen zusammen. Mein Gott, man kann sie doch in solcher Kleidung nicht nach Leningrad schicken.
    »Sie kommen aus Workuta?«
    Pjetkin schrak hoch. Dienstlich sprach der Zöllner hochdeutsch, etwas zu laut, mit zerhackten Worten. Anscheinend verwandelt sich die Sprache, wenn man eine Uniform trägt. »Sie wissen es?« fragte Pjetkin zurück.
    »Und solche Sachen, wie Sie hier haben, trägt man in dem Lager?«
    »In Moskau.« Pjetkin lächelte traurig. »Es ist meine Entlassungs-Ausstattung.«
    »Ungetragen! Ganz neu.«
    »Natürlich. Ich habe alles im Kaufhaus GUM gekauft.«
    »Haben Sie die Kassenbons?«
    »Was bitte?«
    »Die Einkaufsquittungen.«
    »Es gab keine Quittungen. Ich hatte einen Berechtigungsschein vom Innenministerium.«
    Der Zollbeamte wurde unsicher. Innenministerium. Moskau. Auf der Fahrt nach Berlin. Er schielte zu dem Zugführer. Der machte ein paar versteckte Zeichen. Laß ihn bloß laufen, hieß das. Willste Schwierigkeiten, Fritze? Und wie der spricht. Wie 'n Russe, der Deutscher sein will.
    »Sie können gehen«, sagte der Zollbeamte und ärgerte sich, daß alles so glatt verlief. »Sie müssen zugeben, daß Ihre Bemerkung mit meinen Gehirnströmen eine Beleidigung war.«
    »Das sollte es auf keinen Fall.« Pjetkin stand auf. »Ich bin Arzt, und ich dachte –«
    »Schon gut.« Der Zöllner winkte ab. »Gute Fahrt und gutes Einleben in Berlin.«
    »Danke, Genossen.«
    »Det is'n janz Jefährlicher«, sagte der Zugführer, als Pjetkin gegangen war. »Haste jehört? Jenossen hat er uns jenannt! Ick jeh ihm bis Berlin aus 'm Weg …«
    Pjetkin stand in seinem Abteil am Fenster und blickte hinaus. Der Zug fuhr gerade ab, verließ die Bahnhofshalle und stieß in ein anderes Land, fast in eine andere Welt. Fasziniert blieb er am Fenster stehen und registrierte alles, was an ihm vorbeizog. Hier war Frühling … zum erstenmal nahm er es jetzt bewußt auf. Die Obstbäume waren übertupft mit den noch geschlossenen Blüten, das Gras verlor das dumpfe, stumpfe Grün der Winterfarbe und färbte sich heller, auf den roten Ziegeldächern der Häuser glänzte die Sonne.
    Das weite Land. Breit gelagerte Gehöfte, Dörfer mit spitzgiebeligen Dächern, die Gärtchen eingezäunt, alles

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