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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit Masernpusteln.
    Man hat mich entlassen in die Freiheit. Wer Workuta hinter sich hat, dem ist jeder Schritt über eine schlammige Straße, den er allein tut, herrlichste Freiheit. Und Deutschland – das war der Inbegriff von Freiheit. Ein Traum. Und was war dieses Deutschland? Zerschnitten, verfeindet, reglementiert, gepflastert mit Verboten, verseucht mit politischen Leidenschaften, beherrscht von Parteiencliquen, dem Großkapital, den Interessenverbänden, eingekreist von militärischen Pakten, zur Hure gemacht, die mit Schlagworten und Versprechungen schläft. Freiheit!
    Pjetkin dachte an den Amur, den goldenen Fluß an Chinas Grenze, an die Fischerboote, das hohe Gras an seinem Ufer, die Wälder der Taiga, den Adler, der hoch unter dem leuchtenden Himmel kreist, die Tage, die dahinflossen wie die Wellen des Stromes, zeitlos, gelebt und vergessen und doch in der Seele abgelagert wie schwerer süßer Honig … Wer will einem Menschen, der so gelebt hat, erzählen, was Freiheit ist?!
    Pjetkin begriff jetzt erst auch, was alle mit »drüben« gemeint hatten. Drüben war nicht Deutschland gewesen (das es nicht mehr gab), sondern West-Deutschland. Die Bonner Hälfte eines Rindviehs, das einmal Deutschland hieß. Hier würde seine Aufgabe sein, wie Moskau sie verstand und gegen die er Dunja eintauschen konnte: Diese Rinderhälfte wie eine Made durchkriechen, aushöhlen, zersetzen, bis sie faulig und stinkend in den Abfalleimer der Geschichte geworfen wurde.
    »Ich werde nach Lemgo kommen«, sagte Pjetkin, als der Kellner den Kuchenteller abräumte.
    »Ick jloobe nich.«
    »Ich weiß es ganz genau.«
    »So? Warum denn?«
    »Weil ich eine Made bin …«
    »Ach so –«
    Der Kellner zog sich schnell zum Küchenraum zurück und blickte von weitem bedauernd auf Pjetkin. »Dem hat Workuta ooch de Birne weich jemacht«, sagte er leise. »Schade drum.«
    Von da an beachtete er Pjetkin nicht mehr. Als dieser noch ein Glas Wein bestellte, bediente ihn der Oberkellner, der SED-Genosse. Kurz darauf sah Pjetkin die ersten Häuser Berlins.

F ÜNFUNDVIERZIGSTES K APITEL
    Die Organisation klappte vorzüglich; Starobin schien an alles gedacht zu haben. Auf dem Bahnhof erwarteten ihn zwei freundliche Herren, zogen die Hüte und stellten sich vor. Pjetkin behielt die Namen nicht, sie waren auch nicht wichtig – wichtig war nur, daß sie vom Staatssicherheitsdienst kamen, ihn mit ›Genosse Kramer‹ anredeten, was eine ganz neue Wortverbindung war, an die sich Pjetkin erst gewöhnen mußte, und ihm erzählten, das Hotelzimmer sei besorgt, man fahre gleich dorthin, dann erwarte man ihn in Pankow auf einer Dienststelle, wo sein vorläufiger deutscher Paß (Ostdeutsch oder besser DDR natürlich) liege, daß er jetzt voll und ganz Hans Kramer sei und ob er Hunger habe. Man könne gemeinsam essen.
    »Danke. Ich bin müde«, sagte Pjetkin. »Ein Bett, das ist mein ganzer Wunsch. Ich weiß, es ist heller Tag, aber ich habe von Moskau bis Berlin keine gute Fahrt gehabt. Morgen stehe ich Ihnen zur Verfügung.«
    Mit einem sowjetischen Wagen, einem großen, schwarzen Wolga, fuhren die beiden Genossen Pjetkin in ein Hotel, das romantisch in einem großen Park lag und wie ein Schloß aussah. Hier bekam er ein schönes Zimmer mit Bad und wurde dann allein gelassen.
    »Wir holen Sie morgen früh um neun ab, Genosse Kramer«, sagte der ältere der Männer. »Ein großes Programm steht Ihnen bevor. Pressekonferenz, Fernsehen, Wochenschau, Rundfunk … alles ist einsatzbereit. Ruhen Sie sich aus.«
    Pjetkin wollte es. Er badete, rasierte sich mit dem Elektrorasierer des GUM-Direktors, breitete die neue Wäsche auf dem Tisch aus und legte sich dann in das breite Bett. Die Laken waren kühl und eine Wohltat für seine Haut, denn er hatte das Gefühl, überall am Körper wund und brandig zu sein. Aber er konnte nicht schlafen. Deutschland erregte ihn zu sehr. Deutschland, in dem nun er, der Russe Pjetkin, ein Deutscher sein würde, für immer und ewig, und wenn Dunja herüberkam, sie heirateten und Kinder bekamen, würden auch diese Deutsche sein und Kramer heißen, nicht Pjetkin und keinen Großvater haben, der Held des Vaterlandes gewesen war und Anton Wassiljewitsch hieß.
    Wer kann bei solchen Gedanken schlafen? Unruhig lag Pjetkin im Bett, wanderte später nackt im Zimmer herum, zog seine neue Wäsche, das Oberhemd, den neuen Anzug und die Schuhe an, von denen der Abteilungsleiter im GUM gesagt hatte, es seien die besten seit Jahren, eine

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