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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wohnen wir … dort, wo der kaputte Engel liegt. Wollen wir hingehen?«
    »Ja.« Der Russe stand auf und nahm den Jungen an der Hand. Wie Vater und Sohn gingen sie hinüber zu dem zerborstenen Marmorengel. Jetzt stand auf dem Sarg ein Petroleumkocher, und Emma Kramer hatte darauf vor einer Stunde einen Gemüsebrei aus Brennesseln gekocht.
    »Sie wird gleich kommen …«, sagte der Junge.
    Der Russe schrak zusammen. »Wer?«
    »Meine Mutter.« Der Junge blieb stehen und sah zu dem Russen hoch. »Du … du wirst sie nicht erschießen, nicht wahr?«
    »Nein. Bestimmt nicht.«
    »Und die anderen Soldaten auch nicht?«
    »Ich werde es ihnen befehlen, mein Vögelchen.«
    »Bist du so ein großer Mann?«
    »Ich bin Anton Wassiljewitsch Pjetkin, Kapitän des sowjetischen Garderegiments.«
    »Anton Wassiljewitsch. So hieß einmal ein Geselle, den Vater hatte. Ein gefangener Russe, weißt du.«
    »Und was ist aus dem anderen Anton Wassiljewitsch geworden?«
    »Ich weiß es nicht. Sie haben ihn abgeholt. Männer mit so blanken Schildern auf der Brust.«
    Kapitän Pjetkin nickte.
    »Auch dein Vater wird nicht wiederkommen …«, sagte er langsam.
    »Doch!« Der Junge blickte Pjetkin trotzig an. »Er hat's versprochen.«
    »Und deine Mamuschka wird auch nicht wiederkommen.«
    »Woher weißt du das?«
    Sie sahen sich an … der kleine, schmächtige, dreckige deutsche Junge und der große, schmutzverkrustete, an der Stirn verwundete sowjetische Kapitän der Garde. Und so erdrückend auch das Grauen um sie herum war, irgendwie spürten sie, daß sie jetzt auf einer Insel saßen und die Welt nur noch aus ihnen bestand.
    »Wir gehen sie suchen«, sagte Pjetkin leise und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter.
    *
    Zwei Tage lang kämmten sie die Trümmer durch, krochen in Keller und durch Kanäle. Sie fragten Überlebende, aber die wußten nichts. Nur Angst flackerte in ihren Augen, wenn Hans Kramer mit Kapitän Pjetkin durch die Straßen ging. Bei Normoth, dem Händler, stand kein Stein mehr auf dem anderen.
    Kapitän Pjetkin hatte sechs Soldaten abkommandiert, die Mutter des Jungen zu suchen. Er selbst erschien ein paarmal am Tag mit einem kleinen, amerikanischen Jeep und brachte stets etwas zu essen mit. Marmelade und Kekse, das dunkle russische Brot und einen Topf mit Sauergemüse, am Abend des zweiten Tages sogar eine Flasche Limonade.
    »Sie ist nicht da …«, sagte Hans Kramer an diesem Abend. »Mutter ist nicht da … und Vater …«
    Pjetkin drückte den Jungen an sich. »Auch Papuschka wird nicht wiederkommen …«
    »Nie mehr?«
    »Nie, mein Wölfchen …«
    Er spürte, wie der Junge weinte. Der schmächtige Körper schüttelte hin und her, und dann schlangen sich die dünnen Ärmchen um ihn, als sei er der einzige Halt auf dieser Welt. Pjetkin streichelte die struppigen Haare des Kindes. Dann faßte er es unter die Achseln, hob es wie eine Puppe in seinen Jeep und setzte es neben sich.
    »Keine Angst …«, sagte er fast zärtlich und umfaßte den Kopf des Jungen mit beiden Händen. Die Augen des Kleinen sahen ihn an wie zwei winzige überlaufende Seen. In das schmutzige Gesichtchen gruben die Tränen lange Rillen. »Keine Angst, mein Liebling. Du hast Anton Wassiljewitsch bei dir … und Gott verfluche den Krieg!«
    Sie fuhren in die brennende Stadt … es war der 9. April 1945.
    Königsberg hatte kapituliert.
    Und die sowjetischen Armeen standen bereits vor Berlin.

Z WEITES K APITEL
    Überall gibt es Menschen, denen die angeborene Mißgunst eigentlich stets eine gallengelbe Haut bescheren müßte, so widerlich und neidisch sind sie gegenüber ihren Mitbürgern.
    Ja, so einen gibt es überall … ob in Jenisseisk oder Rio de Janeiro, Oslo oder Gelsenkirchen, der einem selbst einen wohltuenden Darmwind mißgönnt. Wen wundert's, daß auch im Garderegiment von Kapitän Pjetkin ein knollennasiges Luder sein Unwesen trieb, ein Leutnant Andren Awdejewitsch Burmin, den man im Regiment nur den ›Stänker‹ nannte.
    Und dieser Andren Awdejewitsch Burmin entdeckte eines Tages im Gefolge des Kapitäns Pjetkin einen kleinen Jungen, der einen Anzug aus einer verkleinerten sowjetischen Uniform trug. Ein Zufall war's … am Stadtrand von Berlin kochte Pjetkin über einem offenen Feuer eine dünne Kartoffelsuppe, und der Junge rührte mit einem Holzstück darin herum, als Burmin auf einem Beutemotorrad vorbeiratterte. Er bremste sofort, wendete und blieb vor dem dampfenden Kessel stehen. Gerade kam Pjetkin aus dem Keller, in den

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