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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gewechselt wurden. Dann wurden auch die Leichen ausgeladen, durchhängende Zeltbahnen, die auf die Bahnsteige klatschten wie Säcke nassen Mehls. Frankfurt/Oder … Posen … Kutno … Warschau … Bialystok … Baranowitschi … Minsk … Borissow … Orscha … Smolensk … Moskau … Tag und Nacht, Nacht und Tag … zwei Wochen lang das Rattern der Räder, das Knirschen der Schienen, das Schwanken der Waggons, das Wimmern der Verwundeten, das Röcheln der Sterbenden …
    Igor Antonowitsch, wie er jetzt nur noch gerufen wurde, lebte in diesem Zug wie eine Hauskatze. Er konnte sich zum Schlafen hinlegen, wo er wollte, bekam sein Essen vorn beim Sanitäter oder bei der Ärztin im Wagen III, man fragte ihn nicht aus, man behandelte ihn aber auch nicht wie einen Menschen.
    Igor Antonowitsch gewöhnte sich schnell an seine Reisegefährten. Als der Kapitänarzt ihn beim Lazarettzug ablieferte, band man Igor einen Zettel um den Hals. Was auf dem Papier stand, wußte er nicht … aber er ahnte, daß es etwas sehr Wichtiges für sein ferneres Leben war. Was die Ärztin und die Sanitäter zu ihm sagten, verstand er auch nicht … er zuckte nur mit den Schultern, antwortete mit dem einzigen Satz, den er richtig konnte: »Nje panimatj« und versuchte, zu lächeln und etwas Freundschaft aus den fremden Gesichtern zu locken. Aber das gelang ihm nicht. Da flüchtete er sich zu den Verwundeten, hielt ihnen die Blechbecher mit Wasser an die Lippen, legte nasse Lappen auf fiebrige Stirnen und trug dem Sanitäter Lalikow die Verbandstasche, wenn dieser seine Runde durch die ihm unterstellten Wagen machte. Dabei lernte er auch, daß man den Toten die Lider herunterzieht und die starren Augen damit bedeckt. Am siebten Tag machte er das schon allein, strich durch die Abteile, blickte den Männern ins Gesicht, und wenn eins starr und weißlich-gelb war, drückte er die Augen zu, legte einen Lappen über den Kopf und rief Lalikow.
    »Dwa trupi!« rief er dann. Oder: »Pjati trupi!« und so lernte er an den Toten bis neununddreißig zählen und einige andere wichtige Worte wie Hurensohn, Scheiße, pockennarbiger Wallach, schielender Idiot und zahnloser Ziegenbock.
    Am 13. Tag sprach er schon einige vollkommene Sätze, die alle mit »Gott verfluche dich!« begannen und mit dem wohltuenden Wunsch: »Durchschieß dir nicht die Hose!« endeten. Igors Lehrmeister war ein älterer sowjetischer Korporal, der lange Zeit in Riga gelebt hatte und deshalb auch deutsch sprach. Es war eine schöne Zeit unter den Kranken und Sterbenden, fand Igor, als sich der Zug den Vororten Moskaus näherte. Neben Lalikow saß er und starrte aus dem Abteilfenster, als der Lazarettzug in einen Güterbahnhof einlief und dort endlich stehenblieb. Lastwagen rumpelten an die Waggons heran, die Verwundeten wurden umgeladen. Auch Igor wurde übergeben wie ein Karton Verbandmull … einer der Offiziere las den Zettel, den der Junge um den Hals trug, betrachtete Igor nachdenklich, sagte etwas, was Igor nicht verstand und war verblüfft, als der Kleine antwortete, was ihn der Korporal aus Riga gelehrt hatte:
    »Gott verfluche dich! Du hast schon besser auf die Stiefel gepißt!«
    Der Offizier stutzte, zog die Augenbrauen zusammen und überlegte, ob er diesem Bündel von Verwahrlosung eine kräftige Ohrfeige verabreichen sollte. Er gab statt dessen Igor einen Stoß vor die Brust, daß der Kleine fast einen Purzelbaum schlug und sagte laut:
    »Man wird dir die Haare schon noch scheren, du warziges Teufelchen!« Dann machte er auf dem Zettel, den Igor um den Hals trug, ein Kreuz und unterstrich den Namen. Jeder wußte jetzt: Achtung! Hier kommt ein Satanchen! Gebt ihm mehr Schläge als zu essen, das wird ihm guttun!
    Stundenlang hockte dann Igor Antonowitsch in der Ecke eines Büros auf einem Schemel, und keiner kümmerte sich mehr um ihn. Einmal blickte Lalikow hinein, grinste, warf ihm einen Apfel zu und verschwand wieder.
    Igor wagte nicht, sich zu rühren. Er aß den Apfel, lehnte sich dann an die Wand und schlief ein.
    Ein Rütteln weckte ihn. Vor ihm stand ein fremder Mann, riß ihm das Schild vom Hals und las es sehr bedächtig durch.
    »Ein Fliegenschiß und dann die Protektion eines Generals«, sagte der Mann wie angewidert. »Aber was kann man dagegen tun? Man muß dich aufnehmen in den Kreis der Kriegswaisen. Igor Antonowitsch, erhebe dich und höre zu, was ich sage: Wir verlangen Gehorsam, weiter nichts. Alles andere kommt dann von allein. Hast du's

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