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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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chinesische Tasse.
    »Dr. Pjetkin …«, sagte die Dussowa. Mit Verblüffung hörte Igor, wie ihre schneidende Stimme dunkler wurde, tönender, voller.
    »Wenigstens Sie kennen meinen Namen!« sagte er. »Ich bin soeben eingetroffen und soll meine Stelle neben Ihnen antreten.«
    »Die Lagerleitung rief an, deshalb kenne ich Ihren Namen.« Sie schielte zu dem Krankenpfleger Russlan, der noch immer keuchend am Schrank lehnte. Dann sah sie Marko. In ihre Augen sprang ein Funke. »Und neben Ihnen ist ein falscher Ausdruck, lieber Kollege. Unter mir … Ich bin Kapitänarzt. Welchen Rang haben Sie?«
    »Gar keinen, Genossin. Ich bin Arzt … das reicht vom Bettler bis zum Minister.«
    »Sehr schön.« Die Dussowa lächelte verhalten. Ihr etwas breiter, schmallippiger Mund verzog sich. Weiße Zahnreihen lagen bloß. Das Gebiß einer Katze. »Ein Romantiker im Straflager. Etwas Neues, Kollege. Die propagierte weiche Welle? Worauf man nicht alles verfällt, wenn die Politik langweilig wird.« Sie warf den Kopf zur Seite und sah Russlan an. »Was haben Sie mit dem Genossen Kalakan gemacht?«
    »Siebenmal geohrfeigt und an die Wand geworfen. Er mißhandelte in meiner Gegenwart einen Patienten. Ich war so romantisch, mich daran zu erinnern, daß ich Arzt bin.«
    »Hinaus!« schrie die Dussowa, machte zwei Schritte vorwärts und trat dem Krankenpfleger Russlan mit der Stiefelspitze gegen das Schienbein. Der Mißhandelte knirschte auf, drehte sich um und schwankte aus dem Zimmer.
    »Er ist mein bester Mann«, sagte die Dussowa, als sich die Tür geschlossen hatte. »Ein Totschläger. Ein unberechenbarer Mensch. Aber er arbeitet wie ein Kuli. Ob er ein Herz hat, weiß ich nicht … aber er assistiert mir bei Operationen wie eine Maschine. So etwas brauche ich.«
    »Jetzt werde ich assistieren. Ich bin Chirurg.«
    »Welch ein Glück!« Die Dussowa klatschte in die Hände. Ihr tatarisches, teuflisch schönes Gesicht glänzte wie mit Speck gerieben. »Ich habe es nie gelernt.«
    »Und haben trotzdem …« Igor versagten die Worte.
    »Was sollte ich machen? Daneben stehen und sagen: Ich kann es nicht? Trauen Sie mir das zu? Ich habe das Skalpell genommen und geschnitten. Es haben sogar einige überlebt … ich bewundere ihre Konstitution.« Sie sah um Igor herum und betrachtete Marko, der schweigend neben dem Schrank stand. »Und wer ist das?«
    »Unser neuer Krankenpfleger.«
    »Wollen Sie nur noch Schockkranke auf den Stationen haben?«
    »Marko Borissowitsch Godunow ist der beste Anatomiediener der Welt.«
    »Welch ein Witz! Welch ein köstlicher Witz!« Die Dussowa lachte. Wirklich, sie konnte lachen, sie bog sich in den Hüften, und ihre Brüste schwollen in der Bluse. Es war ein gurrendes, viel zu tiefes Lachen, das nicht zu ihrer Stimme paßte. Welch ein Weib, dachte Igor erschreckt. Welche höllische Schönheit. Wieviel unverbrauchte Glut. Liegt hier das Rätsel ihrer sagenhaften Grausamkeit? Zerstört sie sich selbst? Ist sie ein Vulkan, den man zugeschüttet hat und sich nun wundert, warum überall die Erde bebt?
    »Ein Chirurg bringt seinen Leichendiener mit!« rief sie und stützte sich lachend auf die Tischplatte. »Und das in einem Straflager! O Pjetkin, Pjetkin, ich habe Sie verkannt … Sie sind kein Romantiker, Sie sind ein Narr, ein liebenswerter Narr, ein heiliger Idiot! Marko, du Kröte, voran … wir zeigen dem Herrn seine neue Heimat …«
    Sie ging voraus, lautlos wie eine anschleichende Raubkatze. Der Rock wippte um ihre Kniekehlen, und die Hüften schwangen bei jedem Schritt zur Seite.
    Am Ende des Flures der Krankenhausverwaltung stieß sie ein Zimmer auf und ließ Igor an sich vorbei eintreten. Er streifte ungewollt ihre Brust und fand sie hart wie aus Stein. Ein Geruch von Rosenöl stieg ihm in die Nase, süß und schwer wie ein ganzes blühendes Feld.
    Das Zimmer war wie alle Zimmer in diesem Haus … viermal vier Meter groß, getünchte Wände, eine nackte Lampe an der Decke. Es war leer und deshalb doppelt trostlos. Der Boden, gehobelte Dielen, war sauber, gescheuert von schwitzenden, hungernden, keuchenden Häftlingen.
    »Bis zum Abend ist es eingerichtet«, sagte die Dussowa. »Ich werde sofort anordnen, es wohnlich zu machen. Haben Sie Wünsche, Kollege?«
    »Wo schläft Marko?«
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Dann lassen Sie zwei Betten ins Zimmer stellen.«
    »Unmöglich. Sie sind Arzt, er ist Pfleger. Auch in einem Arbeitslager herrscht eine Hierarchie. Sie wohnen allein … Marko wird ein Bett

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