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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf einer der Stationen finden. Es gibt da eine Kammer, in der die Geschirre stehen. Dort paßt noch ein Bett hinein. Oder leiden Ihre Nerven darunter, Godunow?«
    Marko grinste sie an und faltete die Hände. »Genossin, ich habe mein Mittagsschläfchen immer neben den Leichen gehalten. Wie werde ich mich stoßen an Bettpfannen? Ein froher Mensch findet überall Schlaf.«
    Die Dussowa starrte den Zwerg an, als spräche er eine andere Sprache. In ihren schwarzen Augen breitete sich Erstaunen aus. Dann wandte sie sich ab und verließ das Zimmer. Igor und Marko folgten ihr.
    »Sie können sich den Reisestaub abwaschen«, sagte sie und blieb vor einer Tür stehen. Eintritt verboten, stand auf dem Holz, mit roter Schrift. »Ich habe mir eine Dusche einbauen lassen … Sie dürfen sie benutzen. Handtuch und Seife finden Sie auf einem Tisch neben der Brause.«
    »Und wohin ist mein Gepäck gekommen?«
    »Zunächst in mein Schlafzimmer. Eine Tür von der Dusche führt hinein.« Sie drehte sich um und lächelte Igor an. Die Tatarenaugen glitzerten. »Niemand wird Sie stören, Pjetkin … ich mache jetzt Visite.«

E LFTES K APITEL
    Zum Mittagessen waren Igor und Marko gewaschen, rasiert und mit ihren besten Anzügen bekleidet. Sogar Marko sah menschlicher aus. Sie lernten den Lagerleiter kennen, den Kommandanten der KGB-Soldaten, die die Bewachung stellten, die Natschalniks der einzelnen Magazine und der Werkstätten, dann die Offiziere der Wachmannschaften, den Verwalter, Bürovorsteher und zuletzt den technischen Leiter des Lagers.
    »Wir sind froh, daß man Sie geschickt hat«, sagte der Verwalter, ein fetter Mensch mit Hängebacken und Tränensäcken. »Zuviel war's für unsere liebe Marianka. Nervös wurde sie, das Täubchen. Sehen Sie nur, wie blaß sie ist. Jetzt kann sie sich etwas erholen. Erheben wir das Glas auf unseren lieben Dr. Pjetkin.«
    Man trank das Glas Wodka leer und bestaunte den Verwalter, wie geschickt er ausdrückte, daß endlich die Furcht vor der Dussowa überwunden werden konnte. Aber auch die Dussowa merkte es … sie senkte den Kopf und musterte alle Männer um den Tisch mit ihren schwarzen, harten Augen. Memmen, sind sie alle, dachte sie. Weichliche Körper ohne Knochen. Gallertmassen.
    Ihr Blick glitt von Mann zu Mann … bei Igor Antonowitsch blieb er hängen. Er unterhielt sich mit dem Kommandanten der Truppen … unbekümmert, jungenhaft, sich seiner Stärke bewußt.
    Sechsundzwanzig ist er, dachte die Dussowa und beobachtete seine Hände, wie sie das Glas umspannten. Zehn Jahre jünger als ich. Man muß sie vergessen, diese zehn Jahre. Diese verfluchten zehn Jahre! Wer fragt einen Gebirgsbach, wie alt er ist … man will nur sein Rauschen hören und sein klares Wasser trinken …
    Am Nachmittag operierte Igor Antonowitsch zum ersten Mal. Ein Unfall. Im Sägewerk hatte sich ein Häftling die Hand abgeschnitten. An zwei Sehnen nur noch hing sie, und Igor mußte sie amputieren.
    Marko assistierte. Schweigend, schnell, jeden Griff vorausahnend. Marianka Dussowa stand hinter Pjetkin und sah ihm zu. Seine Hände faszinierten sie, die Sicherheit seiner Operationstechnik begeisterte sie. Der Lappenschnitt, die Unterbindung der Arterien, die Korrektur des Stumpfes, die säuberliche Umnähung, selbst der Verband … alles war gekonnt, von einer erstaunlichen Perfektion.
    »Bravo!« rief sie, als der Patient weggeschafft wurde. »Es war ein Genuß, Ihnen zuzusehen. Ich frage mich nur, warum Sie sich solche Mühe machen. Er ist ein Sträfling …«
    »Er ist ein Mensch!« sagte Igor.
    Die Dussowa schwieg. In ihren schwarzen Augen schwamm Bewunderung. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ den Operationssaal.
    Am Abend ging Igor früh zu Bett. Das Zimmer war einfach, aber wohnlich eingerichtet worden. Ein Bett, ein Tisch, zwei Stühle, ein Schrank, ein Strohmattenteppich, Gardinen aus gefärbtem Leinen, ein Spiegel und ein Bild ohne Rahmen. Kischinew. Igor stand lange davor und dachte an seinen Vater. Dann erst kam ihm der Gedanke, daß die Dussowa das Bild irgendwo aufgetrieben hatte. Ein buntes Illustriertenfoto.
    Er legte sich ins Bett, knipste das Licht aus und starrte in die Dunkelheit. Der erste Tag im Lager. Noch hatte er nicht viel gesehen … die Besichtigung war auf morgen verschoben worden, der Operation wegen. Der Kampf mit der Dussowa stand noch bevor.
    Ein Klopfen an der Tür weckte ihn. Er setzte sich im Bett auf und starrte verworren um sich. Die Klinke bewegte sich

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