Heiß wie der Steppenwind
Tür aufriß und aus der Stube stürzte, als sei der Ofen explodiert. Hinter ihr erschien Anna, sein Weib, und auch sie hatte glänzende Augen. Er schob sich zwischen Dunja und Pjetkin, aber da beide größer waren als er, blickten sie sich über seinen Kopf hinweg an.
Sie schwiegen beide, nur ihre Augen sprachen alles aus. Welche Qual des Wartens ist nun vorbei. Was weiß man über sich selbst, Igoruschka?
Sie gaben einander die Hand, und Pjetkin hielt sie fest, als sie ihm die Finger wieder entziehen wollte. Anna Sadowjewa war zurück ins Zimmer gerannt und schob eine große Pfanne auf das Feuer. Sie schlug vier Eier hinein und schnitt lange Streifen Speck dazu.
»Sie machen aus einem gewöhnlichen Abend einen Feiertag, Igor Antonowitsch«, sagte Sadowjew steif und hob schnuppernd die Nase. »Mütterchen backt Speck mit Eiern, das ist eine Auszeichnung, eine große Auszeichnung, glauben Sie's mir …«
Sie gingen in die Stube, noch immer Hand in Hand wie zwei schüchterne Kinder, und Dunja drängte Pjetkin auf den Eckplatz der Bank. Über ihm hing eine alte Ikone mit einem Brett darunter, auf dem das ewige Licht flackerte. Eine dicke runde Kerze in einem roten Glas.
»Ich hatte versprochen, zu kommen«, sagte Igor noch einmal, als müsse er sich entschuldigen. Er blickte Sadowjew an, der sich eine selbstgeschnitzte Pfeife stopfte, einen riesigen Kolben, in dem ein Berg Tabak verschwand. Wenn er mit der am Ende ist, sind wir vergiftet, dachte Pjetkin. »Viermal habe ich versucht, mich anzumelden. Aber im Parteihaus meldete sich keiner.«
»Wie soll's auch klappen?« Sadowjew zündete die Pfeife an. »Nur zwei Stunden am Tag kann ich mich um das Schriftliche kümmern. Haben Sie schon ein Pferd, ein Rind oder ein Schwein gesehen, das zu Ihnen sagt: ›Lieber Dimitri, wir haben Hunger, aber unterschreib erst die Briefchen im Büro?‹ So aber denkt man sich das doch in den übergeordneten Verwaltungen.«
Sie aßen Eier mit Speckstreifen, Hirsebrei und herrlich duftende Gurken. Dunja blickte Pjetkin öfter an. Ihre großen blauen Augen leuchteten.
Später, nachdem Pjetkin stockend von seiner Arbeit im Lager berichtet hatte, denn Sadowjew lenkte ihn mit Fragen ab, tranken sie wieder den süßherben Birkenwein und Pjetkin rauchte eine Zigarette. Dunja war aus dem Zimmer verschwunden, mit Anna, dem Mütterchen, tuschelnd, was Sadowjew unruhig werden ließ. Wenn Weiber die Augen verdrehen kommt nie etwas Gescheites dabei heraus, dem Himmel sei's geklagt! Ist das ein Abend, an dem man sich erholen kann? Es gibt Augenblicke, die nie wiederkehren in einem langen Leben. Genau genommen ist jede verbrauchte Sekunde für immer verronnen, doch wer denkt daran? Der größte Teil unseres Lebens ist Gewohnheit, Gleichmaß, Ähnlichkeit. Ein breiter Strom, auf dem wir alle dahintreiben bis zur Mündung, an der wir dann im großen Meer verschwinden. Aber einmal, Freunde, einmal in diesem grauen Leben fällt ein Blitzstrahl hell und alles verwandelnd in die Seele, und genau das geschah jetzt mit Pjetkin.
Dunja war zurückgekommen. Sie hatte sich umgezogen, und eine Märchenprinzessin konnte nicht schöner sein. Ein mongolisches Gewand trug sie, kobaltblau und mit Blüten bestickt, Pumphosen, die in weichen, weißen Stiefelchen steckten und ein Jäckchen, das die Brust umspannte und durch eine goldene Kette vorn zusammengehalten wurde. Die Fülle der blonden Haare hatte sie hochgesteckt und unter einer runden, seidenen Kappe verborgen. Sogar die Lippen hatte sie rot nachgezogen, was Sadowjew mißbilligend bemerkte. Und doch war er stolz auf seine Tochter, welcher Vater wäre es nicht? Wo gab es eine größere Schönheit als sie? Und eine Ärztin war sie, eine Akademikerin, ein unbegreiflich kluges Köpfchen … manchmal war es schwer, zu glauben, daß so etwas im Hause Sadowjew herangewachsen war. »Sie ist meine Sonne«, hatte Sadowjew oft gesagt, wenn Dunja in den Semesterferien aus Chabarowsk nach Issakowa kam. »Wer ihr ein Haar krümmt, den zerhacke ich wie einen Kloben! Bei Gott, niemand hält mich davon ab.« Das war heute alles anders. Hilflos hockte Sadowjew auf seinem Schemel und hielt sich an seiner Pfeife fest, als Dunja leichthin sagte: »Wir gehen hinunter zum Fluß, Väterchen. Eine warme Nacht ist's.«
Und wie warm sie ist, dachte Sadowjew wütend und konnte sich doch nicht rühren, denn das verletzte das Gastrecht. So warm, daß die Stuten verhalten wiehern und die Hengste mit dem Kopf gegen die Stallwand
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