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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dir die Zunge herausgerissen?«
    »Fast, Söhnchen, fast! Ich mußte sie mit beiden Händen festhalten.« Godunow setzte sich auf eine Kiste mit Verbandsmull. Sie war eines der kleinen Wunder gewesen, die jetzt laufend geschahen. Von Chabarowsk wurde Apothekenmaterial geschickt … Verbände, Penicillin, schmerzstillende Mittel, Medikamente gegen die verschiedenen internen Krankheiten, Narkosematerial, chirurgische Bestecke. Pjetkin rief zweimal täglich in Chabarowsk an, beschimpfte die einzelnen zuständigen Beamten im Gesundheitskommissariat, machte sich damit überall unbeliebt, aber er erreichte, daß seine Forderungen erfüllt wurden und mit den Materialzügen auch Kisten für das Lagerkrankenhaus Sergejewka eintrafen.
    »Marianka war wie eine Furie!« sagte Marko und seufzte. Er war leergepumpt, aber wer erträgt nicht gern diese gewisse Schlaffheit? »Zuerst suchte sie ihr Wölfchen, dann tobte sie, am Ende legte sie sich ins Bett und schrie, sie sei krank. Und da liegt sie noch, das schwarze Teufelchen.« Mehr erzählte er nicht.
    Mrianka lag flach in ihrem Bett und blickte aus halb geschlossenen Augen zur Tür. Pjetkin hatte höflich angeklopft und war eingetreten, ganz Arzt in seinem weißen Kittel, nach Desinfektion riechend. Die Schläuche des Stethoskopes baumelten aus seiner Tasche.
    »Guten Morgen, Professor!« sagte die Dussowa gefährlich sanft. »Fühlen sich die Patienten wohl? Ist ihnen Ei mit Rotwein serviert worden?«
    »Noch nicht. Sie bekommen zunächst Antibiotika gegen ihre Furunkulose. Das ist besser, als wenn sie sich die Geschwüre an den Baumrinden aufreißen.« Pjetkin blieb an der Tür stehen und musterte die Dussowa. »Welche Beschwerden haben Sie, Genossin?«
    »Ich bin krank.«
    »Erklären Sie das näher.«
    »Überall bin ich krank. Durch den ganzen Körper zieht es. Schmerzen und Taubheit, dann ein Zucken wie elektrische Ströme und hinterher wie Lähmung. Ein Gefühl des Erstickens. Die Muskeln krampfen sich zusammen … Sie sollten mich massieren, Igor Antonowitsch.«
    Die Dussowa dehnte sich unter der dünnen Decke. Dann warf sie mit einem wilden Tritt alles von sich und lag nackt in der Sonne. Pjetkin setzte sich auf die Bettkante, drückte die Stethoskopschläuche in die Ohren und hörte Marianka ab. Ihr Herz schlug rasend, ihre Atemzüge schnellten vor wie Rammstöße. Als er zum besseren Abhören ihre linke Brust höher schob, seufzte sie laut, griff nach seiner Hand und preßte sie auf die Brust. Er ließ sie dort liegen, während er weiter auf ihren Herzschlag lauschte.
    »Hat das Vögelchen gepiepst?« fragte sie mit schwerer Zunge.
    Pjetkin wußte, wen sie meinte. Welch ein Unterschied zwischen diesen Frauen. Dunja, ein Tropfen der Sonne, der auf die Erde geregnet war, zärtlich wie eine junge Katze und dann wieder heiß wie der Steppenwind. Marianka, ein betäubender Duft wie aus aufgebrochener Erde, verschwenderische Fülle eines Sommers, die Reife eines neuen, noch nicht entdeckten Landes.
    »Wir waren glücklich«, sagte Pjetkin einfach. Ihr Leib bäumte sich auf, ein wilder Protest war's, lautlos, aber doch ein Schrei.
    »Massiere mich!« sagte sie dumpf. »Sofort!«
    »Es wäre besser, Ihnen eine Beruhigungsinjektion zu geben.«
    »Zum Teufel, du sollst massieren! Von den Schultern bis zu den Zehen. Hörst du, mit langen, weichen Zügen, mit flachen Händen!«
    »Warum sollen wir die Zeit vergeuden, Marianka?«
    Sie warf den Kopf zurück und blies mit geschlossenen Augen zischend Luft durch die Nase. Die Nasenflügel blähten sich weit. Ihre wilde, dargebotene Schönheit machte Pjetkin fast traurig. Ein armes Tierchen war sie doch, bei all ihrer Grausamkeit.
    »Ich habe einen Bericht geschrieben«, sagte die Dussowa leise und heiser. »Über dich, mein Doktorchen. Einen Bericht für Moskau. Weißt du, daß ich in Moskau ein großes Ohr habe? Ich brauche ihm nur zuzuflüstern, und es läßt die Erde beben, als habe man in einen Vulkan geblasen. Soll er Feuer speien, der Vulkan? Willst du in glühender Asche umkommen?«
    »Es wird Ihnen nicht gelingen, einem Pjetkin Angst einzujagen, Marianka.«
    »Auch Helden und Heilige empfinden Schmerzen.« Das waren keine Sprüche, Pjetkin wußte es genau. Seine Lage erschien ihm nicht gefährlich oder gar trostlos, aber er kannte genau die Gepflogenheiten der amtlichen Stellen, wenn eine Beschwerde, ein Bericht, eine Anzeige eingingen. Die Erinnerung an Kischinew war noch zu frisch. Er hatte aufgemuckt, die Beamten

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