Heiß wie der Steppenwind
Wald und rufe den Bäumen deinen Namen zu, Igorenka.«
»Ich umarme die Kissen und küsse sie.«
»Komm … komm bald …«
»Ein Adler möchte ich sein, für den es keine Entfernungen gibt.«
»Ich kenne kein Leben mehr ohne dich, Igoruschka.«
»Wir sind wie Wolken, denen der Himmel gehört.«
Sie flüsterten sich verrückte Zärtlichkeiten zu und wunderten sich, daß der Hörer des Telefons in ihrer Hand nicht vor der Glut ihrer Worte schmolz.
*
Am fünften Tag lag die Dussowa noch immer in ihrem Bett und kümmerte sich nur darum, daß Dr. Pjetkin sie pflegte wie ein krankes Kind. Massiert wollte sie nicht mehr werden, im Gegenteil, sie zog ihre Decke bis zum Hals, wenn Pjetkin ihr alles heranschleppte, was sie verlangte. Und das hatte seinen bestimmten Grund.
Ihr Körper bedeckte sich immer mehr mit Bißwunden und Striemen, mit blauen Flecken und Kratzern, Nageleindrücken und Schrunden. Jede Nacht, wenn im Krankenhaus alles schlief, trottete Marko in einem Bademantel, der über den Boden schleifte, hinunter zum Zimmer der Dussowa, klinkte die unverschlossene Tür auf, schlüpfte herein, ließ den Bademantel von seinem Spinnenkörper fallen, reckte sich und sagte: »Mein Teufelchen, der liebe Marko ist da!«
Jeden Morgen, wenn Marko wieder davontrottete, stellte sich die Dussowa unter die Brause, wusch den Zwerg von sich ab, strich Salben über die neuen Wunden, spuckte ihr Spiegelbild an.
»Du Hure!« fauchte sie sich an. »Du Stück Dreck! Ich kotze, wenn ich dich sehe!«
»Warum stirbst du nicht?« stammelte sie. »Bring dich doch um … warum lebst du noch …? Du feiges, geiles Luder … mach ein Ende … mach ein Ende …«
Nach der Visite lag sie wieder in ihrem Bett. Wenn Pjetkin den Morgentee brachte, beobachtete sie ihn und vergewaltigte ihre Seele, indem sie sagte: Nicht Godunow war bei mir in der Nacht, sondern er … Igor, mein strahlender Liebling, mein Traum, mein Herz, meine Sehnsucht, mein Himmel, mein Gott. Du bist es, spürst du es nicht? Ich bete dich an. Hör zu, was ich dir vorschlage: Bleib eine Nacht bei mir, und ich töte mich! Ist das ein Angebot? Für eine Nacht …
Aber Pjetkin verstand nicht ihre Blicke, das stumme Rehen. Er wollte es nicht sehen, in der dumpfen Ahnung, daß sein Untergang in den Armen der Dussowa lag. Ging er dann aus dem Zimmer, weinte sie lautlos, krank vor Liebe, randvoll mit Ekel vor sich selbst. Und schon wieder schellte sie. Eine große, blanke Glocke aus Messing schwang sie in der Hand, und irgend jemand war immer auf dem Gang, der sie hörte und ehrfürchtig in das Zimmer der Dussowa blickte.
»Pjetkin soll mir ein Buch bringen!« schrie sie dann. Oder: »Die Krankenberichte von heute!«
»Wo bleibt die Zeitung?«
»Ein Glas Wasser! Soll ich verdursten?«
Am fünften Tag brachte Marko den Tee und das Brot mit Streichkäse. Marianka schrie leise auf und bedeckte mit beiden Händen die Augen.
»Muß ich dich auch noch am Tag sehen?« schrie sie.
»Das Doktorchen operiert, mein Teufelchen.« Marko stellte das Frühstück auf den Tisch. »Ich darf nicht assistieren, weil meine Hände zittern. Zum erstenmal zittern sie, seit dreißig Jahren. Ich werde dich eines Nachts umbringen müssen, meine Liebe. Du zehrst mich aus.« Er grinste sie grausam an, ließ seine faden Augenbrauen hüpfen, strich sich über die riesige Glatze und schlurfte hinaus.
Marianka sprang aus dem Bett, rannte an das Becken und erbrach sich.
*
Solange die Dussowa im Bett blieb – und dreitausend Häftlinge beteten jede Nacht, daß es noch lange so bliebe – war es Pjetkin unmöglich, nach Issakowa zu fahren und Dunja zu besuchen. Die Arbeit überwältigte ihn wie der Eissturm die Wälder: Das vollbelegte Krankenhaus, die Kranken in den Baracken, die er jeden Vormittag besuchte, die Quarantänestation, wo der neue, kleine Arzt aus Chabarowsk unterging wie in einem wütenden Meer, die Operationen und schließlich sein aussichtsloser Kampf gegen den Schmutz und für die Hygiene. Er verlangte mehr Paraschas – das sind Abortkübel – und ließ eine große Zentrallatrine bauen. Er versuchte, die Macht der Blatnyje, der Verbrecher, im Lager zu brechen und die wichtigsten Stellen mit den Kontriks, den Politischen, zu besetzen, und das war genau das, was man im Lager geahnt hatte und was ihm die Feindschaft aller Kriminellen einbrachte. Seinen aussichtslosesten Kampf führte er gegen die ›Ssuki‹, die ›Hündinnen‹, wie man die Vertrauensmänner des KGB nennt. Spione
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