Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Autorität der anderen Seite ist stärker. Glauben Sie mir, Sadowjew, daß ich Ihre Dunja sehr geschätzt habe. Aber was kann ich machen?«
    Sadowjew verstand seine Ohnmacht. Er stand auf, lief um den Tisch herum, umarmte und küßte den verblüfften Professor und rannte aus dem Zimmer.
    Verhaftet! Das war ein Wort, das Sadowjew verstand. Das brauchte man ihm nicht zu erklären … neben Brot und Salz, Wasser, Wind und Schnee ist Verhaftung ein Urwort der russischen Sprache. Solange es Russen gibt, gab es Verhaftungen. Wir alle haben einen Vater, und sie werden alle zu Helden, wenn ihren Kindern ein Leid geschieht. Warum sollte Sadowjew anders sein? Er nahm allen Mut zusammen, fragte sich bei der Miliz durch, bis er die Adresse des KGB von Irkutsk wußte, und dann ging er in das Gebäude wie einer, der nichts zu fürchten hat.
    Sadowjew wurde von den Beamten des KGB höflich behandelt, denn auch er war höflich. Hier half kein Brüllen, hier kämpfte man mit dem Eishauch der Macht.
    »Dunja Dimitrowna ist bereits verurteilt«, sagte der Mann vom KGB zuvorkommend. »Als ihr Vater dürfen Sie es wissen. Sie wird nicht als Verbannte, sondern als strafversetzte Ärztin in ein Lager kommen. Das ist eine Auszeichnung, eine Bewährung. Führt sie sich gut, kann sie in zwei Jahren wieder in einem großen Krankenhaus arbeiten. Aber darüber wird die Zentrale bestimmen. Haben Sie noch Fragen, Genosse? Das ist rhetorisch gemeint – wir werden keine Fragen mehr beantworten.«
    Sadowjew war mit dem, was er wußte, zufrieden. Er hatte Dunja, sein Töchterchen, aufgestöbert. Und es gab keinen Grund, jetzt zu klagen und zu jammern, sich die Haare zu raufen und in alle Welt hinauszuschreien: »Sie haben sie verurteilt! Einfach verurteilt! Und nur ihrer Haut hat sie sich gewehrt! Ist das schon strafbar? Soll man sich mit Jubeln schänden lassen?« Nein, er schwieg verbissen, setzte sich vor dem KGB-Gebäude auf die Straße, zählte seine Rubel und überlegte, wie man zu Geld kommt. Es gab Arbeit genug, aber das Problem war, Geld zu verdienen und am Tage doch frei zu sein. Denn Sadowjew hatte sich vorgenommen, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang das KGB-Gebäude zu beobachten. Einmal wird Dunja herauskommen, dachte er. Einmal transportiert man sie ab. Da will ich zur Stelle sein. Und er nahm sich weiter vor, immer in ihrer Nähe zu bleiben. Wo Dunja lebt, ist auch ein Platz für mich. Ich habe zwei Hände und einen hellen Kopf … das genügt, um auch im tiefsten Sibirien nicht zu verhungern.
    Er saß noch auf der Straße und dachte an die Zukunft, als ihm jemand die Hand auf die Schulter legte und ausrief:
    »Welch ein Glück! Ist das nicht Dimitri Ferapontowitsch aus Issakowa? An meine Brust, Brüderchen!«
    Sadowjew schnellte herum und sah einen Zwerg vor sich stehen, dessen Häßlichkeit ihn schon immer abgestoßen hatte. Jetzt aber war er der schönste Mensch weit und breit, und seine Küsse waren Balsam auf Sadowjews zerrissene Seele.
    »Marko Borissowitsch!« schrie er. »Du hier? Suchst du auch meine Dunja?«
    »Ich habe sie noch gesprochen, ehe man sie wegführte. Sie weiß, daß Igor Antonowitsch auch verhaftet wurde.«
    »Auch er? Hat er auch seine Unschuld verteidigt?«
    »Er wollte nach Deutschland. Ein dämlicher Mensch. Aber was soll man machen? Sie sind beide zu jung, um nüchtern zu denken. Nun sitzen sie im Loch, und wir müssen uns um sie kümmern, wir beiden Alten.«
    Marko hatte bereits in Irkutsk ein Netz von Bekanntschaften geknüpft. Jeden Tag rief er in Chelinograd an, versprach ein Hühnchen und fragte nach Pjetkin.
    »Noch kein Transport«, hieß es immer. »Aber man stellt einen zusammen. Rufen Sie morgen wieder an.«
    Sadowjew bekam eine gute Arbeit durch Markos Bekannte: Er mußte in der Nacht Kisten und Körbe in die Markthalle schleppen. Der Lohn reichte zum Leben … und am Tage hatte er frei. Unbeirrt saß er dann vor dem KGB-Gebäude und ließ das Leben an sich vorbeifließen. Nichts änderte sich, nur Sadowjews Geruch: Einmal stank er nach Fischen, dann nach Sauerkohl, am nächsten Tag nach Hühnerkot und einmal sogar nach Bananen. Das war ein großer Tag für Sadowjew … zum erstenmal aß er die ihm fremde Frucht. Sie schmeckte ihm gar nicht.
    »Wir bleiben miteinander in Verbindung«, sagte Marko, als er wieder zurück nach Chelinograd fuhr. »Die Idioten denken, sie könnten Dunja und Igor trennen. Wir sind zur Stelle, mein Lieber, damit rechnen sie nicht. Hast du schon eine Idee, wie du

Weitere Kostenlose Bücher