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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht.«
    »Wie Sie wollen, Pjetkin.« Der Oberst schob das Papier wieder in die Mappe. »Das Urteil ist mit oder ohne Ihrer Unterschrift rechtskräftig. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Genosse Pjetkin.«
    Ehe Igor antworten konnte, ergriffen ihn zwei KGB-Beamte führten ihn aus dem Zimmer. Mit leeren Augen, mechanisch die Füße setzend, ging Pjetkin hinunter in den Keller und wurde dort Stepan übergeben.
    »Ich weiß es schon. Zehn Jahre«, sagte Stepan. »War das nötig?«
    Er setzte sich neben Pjetkin auf die Pritsche und holte ein Stück Hartwurst aus der Tasche. Er gab sie Pjetkin und blickte schamhaft zur Seite, als dieser gierig hineinbiß. Seit acht Tagen hatte es als Essen nur einen Liter heißen Wassers, zweihundert Gramm Brot und eine dünne Hirsekascha gegeben. Er hat mir den Blinddarm herausgenommen, dachte Stepan. Solange er hier unten bei mir ist, werde ich ihn füttern wie ein Gänschen. Zehn Jahre – er wird sie nicht überstehen. Welch ein dummer Mensch!
    »Ich gebe Ihnen einen Rat«, sagte er, nachdem Pjetkin die Wurst gegessen hatte. »Wenn Sie ins Lager kommen, sehen Sie den Lagerleiter sofort scharf an und sagen zu ihm: ›Brüderchen, du bist sehr krank! Hat dir das noch keiner gesagt? Wenn du so weitermachst, wirst du nur noch ein Jahr zu leben haben.‹ Natürlich weiß er, daß Sie Arzt sind, und ihm wird das Herz in die Hose fallen und in den Kniekehlen wackeln. Wer hat keine Angst vor einem frühen Tod? Was wird der Lagerleiter also tun? Er wird Sie zu sich holen, Sie werden ihn heimlich untersuchen und dann schmerzhaft mit dem Kopf schütteln. Das wirkt wie ein Durchfall … er wird vor Angst Wasser scheißen. ›Ich werde dich retten‹, sagen Sie dann. ›Ich habe so einen komplizierten Fall schon mal geheilt.‹ Sie werden sehen, Genosse Arzt, welch ein Wunder sich dann entfaltet. So müssen Sie es machen, nicht anders. Dann überleben auch Sie …«
    Pjetkin nickte nachdenklich. In ihm war alles leer … »Weißt du, wohin man mich bringen wird?« fragte er endlich.
    »Keine Ahnung. Aber die letzten Transporte gingen alle nach Workuta. Man muß sich das vorstellen … von Chelinograd zum Eismeer! Ach Gott, wenn man heißes Wasser auf Vorrat trinken könnte …«
    Pjetkin legte sich zurück, als Stepan gegangen war, und dachte an Dunja. Es waren blutende Gedanken, nur noch Erinnerungen ohne die Hoffnung auf eine Zukunft. Ich sehe sie nie wieder, dachte er, aber ich vergesse sie nicht. Zehn Jahre Zwangsarbeit, ich werde sie durchstehen. Ich werde mir die Kraft in den Gedanken an Dunja holen. Und nach zehn Jahren werde ich sie wieder suchen … Genossen, ihr könnt mir den Rücken beugen, aber nicht das Rückgrat brechen! Ein Pjetkin kapituliert nicht. Solange ich atme und krieche, rufe ich nach der Freiheit …

E INUNDZWANZIGSTES K APITEL
    Sadowjew, der Dorfsowjet von Issakowa, holte in seinen alten Tagen alles nach, was er bisher in seinem geruhsamen Leben versäumte. Er packte einen Reisesack aus besticktem Leinen, hängte ihn um den Hals, küßte sein Weibchen Anna, gab allen Dorfbewohnern die Hand, ernannte den Schmied Jakob Iwanowitsch Schiskij zu seinem Stellvertreter und Wahrer der Rechte – er fand keinen anderen, denn wenn Schiskij auch ein hirnbeschränkter Mensch war, so hatte er doch Muskeln wie ein Bulle und das ist viel wert bei Diskussionen oder behördlichen Anordnungen – stellte sich vor das Parteihaus und schrie: »Brüder und Schwestern, ich ziehe in die Welt, um mich um Dunjenka, mein Töchterchen, zu kümmern! Das Unrecht stinkt zum Himmel, und ich werde den Saustall ausmisten! Dreißig Jahre bin ich in der Partei – ich werde mir Gehör verschaffen, und wenn ich nach Moskau reise! Sorgt für Anna, benehmt euch wie gesittete Menschen und denkt daran, daß ich zurückkomme und jedem, über den Klagen vorliegen, die Rechnung mit dem Knüppel begleiche. Lebt wohl, Genossen!«
    »Er ist wie ein Gewitter«, sagte Anna weinend und hockte sich neben ihren Herd, drückte die Schürze an die Augen und schluchzte auf. »Aber der Feind des Gewitters ist der Wind. Er wird auch Sadowjew in eine Ecke blasen. Heiliger Stephan, laß ihn wiederkommen …«
    Sadowjews Rundreise begann in Chabarowsk. Er schrie die Beamten der Medizinal Verwaltung an, drohte mit der Parteileitung in Moskau und dem Delegierten der Amurprovinz im Obersten Sowjet. Man war gnädig mit ihm, warf ihn nur hinaus und nannte ihn dann einen krummbeinigen, nach Pferdeurin stinkenden Kulaken.
    Sadowjew

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