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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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seine Zelle geführt, einen dunklen, fensterlosen Raum im Keller. Der Wärter sah ihn fragend an und schüttelte den Kopf. Er war vor drei Wochen von Pjetkin operiert worden, nur ein harmloser Blinddarm, aber daß man ihn von seinen Schmerzen für alle Zeiten befreit hatte in einer Operation, die nur zwanzig Minuten dauerte, betrachtete er als kleines Wunder. Seitdem bewunderte er den Arzt und war völlig aus der Fassung, als er plötzlich unten im Zellentrakt auftauchte als Gefangener des KGB.
    »Warum sind Sie, verzeihen Sie, Genosse Arzt, bloß ein so dummer Mensch?« sagte er, bevor er die Zellentür wieder abschloß. »Hängt die ganze Seligkeit von einem einzigen Weibchen ab?«
    »Ja, Stepan.« Pjetkin setzte sich auf die harte Holzpritsche. Sie hatte keine Matratze, aber wer müde ist, kann auch im Stehen an der Wand schlafen. »Denk an deine Frau. Würdest du sie verlassen?«
    »Das ist eine heikle Frage, Genosse«, antwortete Stepan und klirrte mit den Schlüsseln. »Sie kennen meine Frau nicht …«
    Um weitere Fragen zu vermeiden, ließ er Pjetkin allein. Aber auf dem Gang blieb er stehen, blinzelte mit den Augen und überlegte. Prokofja ist eine gute Frau, dachte er. Ein fleißiges Mütterchen. Neun Kinder hat sie mir geboren, alle gesund und kräftig. Nein, ich würde sie nicht allein lassen, auch wenn sie mit der Eisenpfanne leichtsinnig umgeht. Man muß sich immer den Mund mit Eukalyptus ausspülen, bevor man nach einem Gläschen Wodka nach Hause kommt …
    Wie man Marko Borissowitsch Godunow verraten hatte, erfolgte die Verurteilung ohne große Formalitäten und mit auffälliger Schnelligkeit. Eines Morgens wurde Pjetkin ans Licht geholt, durfte sich rasieren unter der Aufsicht Stepans, wurde gebadet und erschien nach Seife und heißem Wasser duftend wieder im Vernehmungszimmer. Jetzt saßen drei Offiziere hinter dem Tisch, und sie trugen zum erstenmal auch eine Uniform. Der weißhaarige Mann, ein Oberst, wie sich jetzt herausstellte, klappte eine Mappe auf und sah Pjetkin freundlich, wenn auch mit dienstlicher Distanz an.
    »Ich habe die Ehre«, sagte er mit militärisch forscher Stimme, »Ihnen Ihr Urteil mitzuteilen. Setzen Sie sich, Genosse, und hören Sie genau zu:
    Der Große Rat des Komitee gossudarstwennoi besopassnosti (KGB) hat auf seiner Sitzung den Fall des Angeklagten Igor Antonowitsch Pjetkin, geboren als Hans Kramer am 5.5.1938 in Königsberg, Staatsangehörigkeit Deutschland, verhandelt. Er ist angeklagt des Verbrechens nach Artikel 58, Absätze 4 und 11, des Strafgesetzbuches der UdSSR. Der Besondere Rat hat entschieden:
    Der Angeklagte Igor Antonowitsch Pjetkin wird schuldig befunden nach § 4, Artikel 58, die bestehende Ordnung in der UdSSR mit den Mitteln bourgeoiser Denkweise gestört und den Versuch unternommen zu haben, diese Ordnung zu untergraben und zu stürzen.
    Der Angeklagte wird nach § 11 des Artikels 58 für schuldig befunden, den durch einen glorreichen Sieg beendeten Großen Vaterländischen Krieg im stillen weitergeführt und damit die aufrührerischen Elemente in unserem Land unterstützt zu haben. Im Namen der Sowjetischen Sozialistischen Republiken und auf Grund der Verbrechen wird Igor Antonowitsch Pjetkin hierfür zu zehn Jahren Besserungs-Arbeitslager verurteilt. Als Gnadenerweis ist anzusehen, daß ihm die bürgerlichen Rechte nach beendeter Strafzeit nicht entzogen werden.« Der Oberst ließ das Blatt sinken und räusperte sich.
    Über Pjetkin ergoß sich eine heiße Welle des Schmerzes. Es war kein Zusammenbruch vor diesem Urteil, sondern mehr die alle Ideale in ihm wegbrennende Erkenntnis: Ich bin aufgewachsen in einer Lüge, ich bin erzogen mit einer Lüge, ich habe geglaubt an eine Lüge. Die Welt, in der ich glücklich war, gibt es gar nicht.
    »Das Urteil ist unterzeichnet mit den Namen der Mitglieder des Besonderen Rates«, sagte der grauhaarige Oberst. »Sie haben alles genau verstanden, Pjetkin? Bitte – unterschreiben Sie.« Er legte das Blatt vor Pjetkin auf den Tisch und schob ihm einen Füllfederhalter zu.
    Pjetkin stand von seinem Stuhl auf und trat einen Schritt zurück.
    »Ich unterschreibe nicht«, sagte er laut. »Ich protestiere gegen das Urteil! Die Anklagen sind idiotisch, und die Gerichtsverhandlung, in der ich mich hätte verteidigen können, hat nie stattgefunden. Ich habe meine Pflicht als Arzt getan, weiter nichts. Und ich liebe ein Mädchen. Wenn das ein Verbrechen ist, gibt es kein Recht mehr. Nein, ich unterschreibe

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