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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Morgan bedächtig. »Lawrence war Archäologe, Geheimagent, sicherlich ein ausgezeichneter Stratege und nicht zuletzt Schriftsteller. Aber er war nach dem Frieden von Versailles vor allem eines – komplett desillusioniert, isoliert und entwurzelt. Seine Träume von Großarabien waren zerplatzt, und in seinen Augen war das Verrat an jenen Freunden, mit denen er jahrelang gekämpft hatte. Er war damals eine charismatische Persönlichkeit und ist heute eine lebende Legende. Eine untergetauchte lebende Legende.«
    »Sie enttäuschen mich, Andrew«, warf Majors ein. »So weit, so gut, und bisher war nichts dabei, was ich nicht auch gewusst hätte. Mehr Hintergründe?«
    »Was könnte ich Ihnen schon erzählen.« Morgan grinste etwas lausbübisch. »Waren Sie es nicht, der damals das Manuskript der
Sieben Säulen der Weisheit …«
    Majors unterbrach ihn mit einer unwilligen Handbewegung. »Das war vor Ihrer Zeit, und offiziell wissen Sie davon nichts und vergessen das sofort wieder.«
    Morgan drehte sich um, nahm einen Morgenmantel von einem Haken an der Wand und hielt ihn dem kahlköpfigen Mann hin. »Sehen Sie, Sir. Vielleicht ist dieser Mantel symptomatisch für Shaws Persönlichkeit. Er ist aus einem seiner Beduinengewänder gearbeitet worden. Aus Arabien wurde England, aus der Weite der Wüste die Enge der englischen Provinz, aus der Hitze Afrikas das neblige Dorset.«
    »Sie haben ja eine poetische Ader, Großhirn«, brummte Majors und betrachtete mit schräg gelegtem Kopf das Kleidungsstück.
    »Sein großer Traum war es, irgendwo in London Nachtwächter zu werden«, fuhr Morgan fort. »Ich habe einmal eine Nacht mit einem seiner Freunde durchgefeiert, und er hat mir einiges über Lawrence erzählt. Nach einer Flasche Gin, die wir gemeinsam geleert haben. Lawrence wollte nach seiner Heimkehr nach England am liebsten immer von Dunkelheit umgeben sein, von allem Trubel befreit, von allen vergessen. Nur zwei Menschen sollten überhaupt wissen, dass es ihn noch gäbe – der Angestellte, der abends als Letzter geht, und jener, der morgens als Erster kommt. Dieser Lebensabend als Nachtwächter hätte seinen Rückzug in die Einsamkeit – und in die Legende – vollendet. Da ihm dies nicht gelang, wechselte er zweimal seinen Namen, tauchte in der Armee unter, ließ sich verleugnen, zog aufs Land in dieses Haus. Und behielt seine Geheimnisse für sich.«
    Majors stieß sich vom Türrahmen ab und begann, nachdenklich in dem kleinen Flur auf und ab zu gehen. Schließlich blieb er stehen und steckte seinen Kopf wieder ins Bad.
    »Warum hat Shaw nie geheiratet?«
    »Soll das eine Prüfungsfrage sein, Sir?«, versetzte Morgan mit gerunzelter Stirn. »Das wissen Sie genauso gut wie ich.«
    »Sie sind jung und talentiert, gescheit und intelligent, haben eine rasche Auffassungsgabe und werden weit kommen in diesem verdammten Beruf, Andrew, aber Sie müssen noch viel lernen«, gab Majors unbeeindruckt zurück. »Vieles wird erst klar, wenn man es ausspricht, die Gedanken dabei in seinem Kopf verschiebt wie die Königin auf dem Schachbrett. In gerader Linie und kühn.«
    »Gut, Sir, ich verstehe.« Morgan nickte. »Wir haben jeden Grund anzunehmen, dass es Lawrence – oder Shaw, wie Sie wollen – im Orient auch die schönen Araberknaben angetan haben. Die frauenlose Männergemeinschaft der Beduinen lockte ihn. Mit einem der jungen, hübschen Araber unterhielt Lawrence eine jahrzehntelange und enge Beziehung. Werfen Sie einen Blick auf die Pastellporträts in der Bibliothek, die Eric Kennington auf Wunsch von Lawrence gemalt hat, Sir. Keine einzige Frau, nur schöne und starke Männer. Im Wüstenreich der Beduinen konnte Lawrence wohl seinem Kindheitstraum vom Rittertum am nächsten kommen. Und dort konnte er vermutlich auch seine Schuldgefühle darüber, dass er als uneheliches Kind aufwuchs und homosexuelle Neigungen hatte, im heißen Wüstensand vergraben.« Der junge Mann machte eine Pause und hängte den Morgenmantel zurück an den Haken. »,Glücklich sollen und dürfen wir nicht sein‹, sagte er einmal diesem Freund, ›und dieser Sünde bin ich, glaube ich, mit Erfolg aus dem Weg gegangen.‹ Da haben Sie Ihren Bewohner von Clouds Hill, Sir. Ewig getrieben, von der Gesellschaft und England enttäuscht, fasziniert von Geschwindigkeit und Risiko, zerrissen zwischen seiner Liebe zu Männern und den Konventionen seiner Zeit. Unglücklich.«
    »Also ließ er sich auspeitschen, um zu leiden und zu büßen«, murmelte

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