Heiß
Sein Sitznachbar füllte das Glas nach, und Calis wunderte sich, wohin das alles führen sollte.
»Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, warum es bei einigen Kriminalfällen vielleicht einfach nicht opportun war, einen Täter zu präsentieren? Wegen der politischen Auswirkungen? Wegen der dunklen Geschäfte, in die der eine oder andere verwickelt war, die aber dem jeweiligen Regime oder führenden Regierungskreisen durchaus zupass waren? Von geheimdienstlichen Aktivitäten im Interesse der sogenannten Staatssicherheit jetzt einmal ganz abgesehen.«
Blondschopf prostete Calis zu und nahm einen großen Schluck, während der Bentley grollend den Main in Richtung Innenstadt überquerte. Dann wies er mit dem Glas in der Hand nach vorne, auf die Hochhäuser der City. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Milliarden hier stündlich verschoben werden? Wie viele Vermögen gemacht und andere zerstört werden, in nur wenigen Augenblicken? Tronheim war ein Bauer, der auf dem Schachbrett geopfert wurde, zu einem ganz bestimmten Zweck. Ein Puzzleteil in einem großen Bild, glauben Sie mir. Und dieses Gemälde geht in Bedeutung und Auswirkung weit über das hinaus, was Sie oder ich normalerweise Realität nennen.«
»Ihre Menschenverachtung kotzt mich an«, warf Calis ein. Doch das brachte seinen Gesprächspartner nicht einen Augenblick aus der Ruhe.
»Sie machen einen Fehler, Kommissar«, erwiderte er seelenruhig. »Sie hätten die Möglichkeit, Fragen zu stellen und werfen doch nur mit Emotionen um sich. Ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann oder will. Aber vielleicht beruhigt eines Ihren Gefühlsdusel und Ihren offenbar so ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit: Tronheims Mörder haben für ihre Tat gebüßt, mit der Höchststrafe. Etwas, das die Justiz in diesem Land nicht gekonnt hätte. Sie waren nur wenige Tage später genau so tot wie ihr Opfer.«
»Ein glücklicher Umstand, nicht wahr? Niemand kann etwas ausplaudern, etwa über eventuelle Auftraggeber«, merkte der Kommissar an.
»Sagen wir, ein erfreulicher Nebeneffekt, ohne Zweifel«, gab Blondschopf zu. »Also, folgen Sie meinem Rat und legen Sie den Fall Tronheim zu den Akten. Die Täter gibt es nicht mehr, der Gerechtigkeit wurde Genüge getan.«
»Die Täter gibt es sehr wohl noch«, widersprach Calis. »Sie liegen in kleinen Teilen in den Schubfächern der Gerichtsmedizin. Da haben Sie sie doch hin gebombt!«
»Sie haben eine lebhafte Phantasie, Kommissar Calis«, sagte sein Sitznachbar mit einem kalten Lächeln. »Sehe ich aus wie ein Bombenleger? Ich könnte TNT nicht von Marzipan unterscheiden, tut mir leid. Außerdem – wen kümmert es? Sie sind noch jung. Sie werden lernen müssen, einen geschäftlichen Kollateralschaden von einer Tat im Affekt zu unterscheiden. Ersterer wird selten aufgeklärt. Verdienen Sie sich Ihre Sporen bei der zweiten Kategorie. Das ist dankbarer.«
»Mir wird gleich schlecht«, antwortete Calis. »Die drei Legionäre waren also Tronheims Mörder, wie ich vermutet hatte.«
Blondschopf neigte den Kopf und schwieg. War die Kopfbewegung Absicht gewesen, oder hatte der Bentley geruckelt?
»Und nun sind auch sie tot und alle Spuren verwischt«, fuhr Calis fort.
»Ich habe ja gesagt, Sie können heute wieder heim an die Spree reisen.« Sein Gesprächspartner nickte zufrieden. »Allerdings wollte ich Sie noch kennenlernen, bevor Sie Frankfurt verlassen. Das Foto hat nicht getrogen. Sie sind beneidenswert durchtrainiert.«
Er drückte einen Knopf in der Armlehne, und der Chauffeur lenkte den Bentley an den Straßenrand. »Nun wird es auch für mich Zeit, nach Hause zu fahren. Mein Bett wartet. Genießen Sie noch einen Spaziergang durch die City, sonst haben Sie ja nichts von der Stadt gesehen, bevor Sie wieder nach Berlin zurückkehren. Um diese Stunde haben Sie die Innenstadt der Bankenmetropole fast ganz für sich. Adieu, Kommissar!«
Als Calis am Straßenrand stand und dem Bentley nachblickte, war er versucht, das Kennzeichen zu notieren. Aber dann überlegte er es sich anders. »Dich bekomme ich noch, du arroganter Arsch!«, brummte er und lief los in Richtung Untermainbrücke, zog sein Handy und die Visitenkarte von Martina Trapp aus der Tasche und begann zu wählen. Während er darauf wartete, dass sich Frau Oberschlau aus Morpheus‘ Armen riss und meldete, ging ihm ein Gedanke nicht aus dem Kopf. Er hatte noch ein As im Ärmel, von dem er weder Trapp, noch dem Blondschopf etwas verraten hatte:
Den Clown.
Flughafen
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