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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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dich in Luft aufgelöst wie ein arabischer Geist, wieder einmal den Namen gewechselt, wieder eine andere Uniform angezogen und aus dem Burnus einen Morgenmantel schneidern lassen. Und wie praktisch – gleich bei der Royal Air Force, der ersten Luftwaffe der Welt, einen ruhigen Platz gefunden. Selbstverständlich konnte sie ihrem berühmtesten Soldaten keinen Wunsch abschlagen. Genauso wenig wie später das Panzerkorps hier in Bovington.«
    Majors war versucht, ans Bett zu treten und den dünnen Körper zu schütteln, immer und immer wieder, bis Shaw seine Geheimnisse ausspuckte. Aber das würde wohl nie passieren. Lawrence of Arabia würde nie mehr reden. Sein Zustand hatte sich verschlechtert. Es war nur mehr eine Frage von Stunden.
    Aber was zum Teufel hatte er im Hindukusch gemacht?
    Majors stellte sich die Frage zum hundertsten Mal. Im Verlauf der letzten siebzehn Jahre hatte er alle Unterlagen, Briefe und Akten gesichtet, deren er habhaft werden konnte. Er hatte Shaw beobachtet, wann immer er nur konnte. Als Leiter der »Cleaners« hatte er viele Möglichkeiten, es standen ihm auch jene Türen offen, die allen anderen verschlossen blieben. Und trotzdem …
    Im Jahr 1928 war aus dem Soldaten John H. Ross der Soldat T.E. Shaw geworden, eine Reverenz an seinen alten Freund, den Dichter und Schriftsteller George Bernard Shaw. Doch damit nicht genug. Lawrence ließ sich nach Waziristan, eine abgelegene Grenzregion, versetzen. Die RAF hatte damals zum ersten Mal eine Evakuierung von Zivilisten aus Afghanistan aus der Luft unterstützt, mit Mann und Material, Piloten und Flugzeugen. Und dazwischen – Soldat Shaw, der sich wieder einmal einen neuen Deckmantel überwarf. »Um die Zeit sinnvoll zu nutzen, übersetzte ich dort Homers Odyssee neu aus dem Altgriechischen«, schrieb er an Charlotte Shaw, die Frau seines Freundes.
    »Was für ein Schwachsinn!«, stieß Majors hervor und beugte sich zu dem Bewusstlosen hinunter. Sein Gesicht war nur Zentimeter von Shaws entfernt, und der Colonel spürte den Atem des Sterbenden, der stoßweise ging. »Du hast sie alle verscheißert, hast ihnen dein buntes Theaterstück schmackhaft gemacht, das operettenhafte Libretto aufgezwungen, sie an der Nase herumgeführt. Was hast du in dem Monat gemacht, als du im Hindukusch plötzlich verschwunden warst? Keine einzige Zeile in den Akten. Soldat Shaw meldet sich ab und taucht vier Wochen später wieder auf. Wo bist du in der Zwischenzeit gewesen, du alter Geheimniskrämer? Wohin bis du gefahren, mit wem hast du gesprochen, was – wolltest – du – herausfinden!?«
    Die letzten Worte hatte Majors geschrien. Shaws Gesicht blieb unbewegt, aber die Tür flog auf, und eine der Wachen steckte alarmiert und besorgt den Kopf durch die Tür.
    »Raus!«, brüllte der Colonel und fuhr herum. »Ich habe keinen von euch Simpeln gerufen!« Er fuhr sich müde mit der Hand übers Gesicht und schloss die Augen. Drei Nächte durchgemacht, bis auf zwei, drei Stunden Schlaf. Irgendwann musste er wieder einmal etwas essen und in einem Bett schlafen.
    Irgendwann …
    Majors versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Die Fotos und Unterlagen aus Clouds Hill hatte er in der vergangenen Nacht gesichtet, hatte aussortiert, Dinge vernichtet oder für seine persönlichen Aufzeichnungen beiseitegelegt, was auch nur den kleinsten Hinweis auf Shaws großes Geheimnis geben könnte. Zum Glück war bisher nur einer der Spezialisten aus London angereist, hatte den hohen Stapel Kisten mit großen Augen und hochgezogenen Brauen betrachtet und sich dann ein Hotel gesucht. Seitdem war er nicht mehr gesehen worden. Und Großhirn, dieser Streber vor dem Herrn, würde nie seine Finger und Nase in die Kisten stecken.
    »Wenn du nicht so unglaublich verschlossen gewesen wärst«, brummte Majors. »Dieser Geheimhaltungsfimmel, diese Angst vor Menschen und Gefühlen, ständig warst du auf der Hut. Du hast es mir nicht leicht gemacht.«
    Nur der Hindukusch passte nicht ins Bild von Lawrence-Ross-Shaw, das er im letzten Jahrzehnt so mühsam zusammengepuzzelt hatte, und das ärgerte den Colonel. Die vier Wochen stellten eine Unbekannte in seiner Gleichung dar. Eine der wenigen, die noch geblieben waren, nach der langen Recherche.
    In den Papieren aus Clouds Hill war dazu nichts zu finden gewesen, im Haus nichts versteckt. Keine Fotos oder Aufzeichnungen, keine Notizen hinter losen Ziegeln oder in hohlen Balken …
    Es klopfte an der Tür, und bevor Majors »Herein!« rufen konnte,

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