Heiß
dass er ein Naturtalent vor sich hatte und unterstützte sie nach allen Kräften. Er zahlte ihr sogar die Pilotenausbildung, die sie in Rekordzeit absolvierte und mit Bravour bestand.
Ihr Vater sprach nicht mehr mit ihr, ihre Mutter versuchte zu verstehen und überwies Amber jeden Monat ein wenig Geld. Als ihre Eltern an die Botschaft nach Algier versetzt wurden, machte Amber ihre Gesellenprüfung und, begabt wie sie war, wenig später ihren Meister.
Dann ging auch sie nach Afrika – einerseits, um mit diesem Schritt ihren Vater zu versöhnen und näher bei ihren Eltern zu sein, andererseits, weil ihr nach einer missglückten Beziehung und den damit verbundenen tränenreichen Szenen ein Ortswechsel reizvoll erschien. So lief eines Tages eine blasse, übernächtigte Amber Rains in Kairo, an der Bar des Savoy-Continental, einem gewissen John Finch über den Weg. Der, nach etlichen Flaschen Sakkara-Bier und einigen Gläsern Single-Malt in leichter Schräglage, suchte für einen Flug tags darauf nach Gabun einen Co-Piloten. Als Amber ihm klarmachte, dass er ihn gerade gefunden hatte, willigte Finch achselzuckend ein. Später behauptete er immer wieder wenig charmant, dass er in diesem promilleträchtigen, illuminierten Zustand selbst einen Gorilla engagiert hätte.
Von da an waren die beiden unzertrennlich, flogen mit einer alten DC 3 , die Finch gekauft hatte und die Amber in der Luft hielt, bis nach Kapstadt und Tansania, transportierten Waffen und Flüchtlinge, Diamanten und Soldaten, Schmuggelwaren und Hilfsgüter der Vereinten Nationen. Sie waren ein eingespieltes Team, am Boden und in der Luft. Für einige Jahre waren sie ein Paar, doch dann entschloss sich Amber spontan nach einem der unzähligen schiefgegangenen Versuche, sich mit ihrer Familie auszusöhnen, wieder nach Duxford zurückzukehren.
Finch akzeptierte ihren Entschluss und legte ihr nichts in den Weg. Er wusste, wie schwer es war, den Afrikavirus loszuwerden.
Zwölf Monate später, die ein einziges emotionales und wirtschaftliches Fiasko gewesen waren, kehrte auch Finch Afrika den Rücken und ging nach Brasilien. Doch das war nun auch schon ein paar Jahre her.
Die dunkelgrüne, sechzehnsitzige Passagiermaschine der Amicale Jean-Baptiste Salis, an deren Steuer Amber Rains nun saß, war in einem makellosen Zustand. Finch sah sich im Cockpit um und nickte anerkennend.
»So gut wie neu. Besser als bei der Auslieferung durch die Junkers-Werke«, stellte Amber stolz fest, als könne sie Finchs Gedanken lesen. »Wir haben nur das Feintuning der drei BMW -Motoren gemacht, alles andere hat der Verein in jahrelanger Restaurierungsarbeit selbst hinbekommen. Hut ab, die haben ganze Arbeit geleistet.«
Sie löste die Bremsen, und die Ju 52 rollte langsam in Richtung Startbahn. »Der Tower ist heute extra für diesen Flug besetzt worden. Ich fliege die Tante Ju zurück nach La Ferté-Alais und schließe gleich einen Kururlaub in Paris an. Louvre und Montmartre, Shopping in den Galeries Lafayette, im Faubourg St. Honoré, das volle Programm.« Amber Rains lachte. »Braucht man ab und zu, sonst kommt man aus den Tiefen der englischen Provinz niemals zurück ins Leben. Aber wem sag ich das?«
Finch lehnte sich zurück und genoss den Klang der alten Motoren, den Geruch in dem Cockpit und das Gefühl des dünnen Steuerrads in seinen Händen.
»Ich bewundere dich«, sagte er schließlich zu Amber. »Nach meinem Abschied aus England hätte ich um nichts auf der Welt wieder zurückkommen wollen. Und jetzt? Kaum bin ich hier, laufe ich schon wieder davon.«
»Steckt ihr in großen Schwierigkeiten?«, wollte Amber wissen.
»Tiefer als du es jemals erleben möchtest«, antwortete Finch. »Frag lieber nicht. Und – danke für den Flug.«
»Ich hab euch niemals gesehen. Auf jeden Fall stellt hier in Duxford niemand Fragen, und in La Ferté-Alais wird es auch keine geben«, versicherte ihm die Pilotin. »Kein Zoll, keine Polizei. Höchstens ein paar Schaulustige, aber wir landen in Frankreich zur Abendessenszeit auf einer Graspiste in der Provinz. Also werden wahrscheinlich nicht einmal Neugierige kommen.«
Die Ju 52 hatte den Beginn der Startbahn erreicht, und der Tower gab kurz angebunden die Startfreigabe und wünschte einen guten Flug über den Kanal. Amber Rains schob die drei Gashebel nach vorne, die Motoren dröhnten auf, und die Junkers setzte sich gemächlich in Bewegung.
»Wir haben rund 430 Kilometer und damit zwei Flugstunden vor uns«, meinte sie
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