Heiß
Interesse, reines Kalkül. Aber was genau hat die Kommandoeinheit im Hochtal gesucht? Und was hat sie gefunden? Was hat sie von Juan erfahren, bevor er starb? Hat er ihnen erzählt, was sie wissen wollten? Um mit Compton zu sprechen – was ist es, das die Engländer in Chitral interessierte und das nie ans Licht kommen sollte?«
»Wir fragen uns stets dieselben Dinge«, brummte Llewellyn unzufrieden. »Wir sind noch immer keinen Schritt weiter und drehen uns im Kreis. Seit ich euch in Tiflis am Flughafen getroffen habe, ist das Bild immer unschärfer geworden. Selbst Peter war nicht schlauer als wir. Oder er hat sich brillant verstellt.«
»Wenn du jemanden befragst und das erfährst, was dich interessiert, was machst du dann?« Finch sah Llewellyn neugierig an.
Der überlegte keine Sekunde. »Ich nütze die Information und ziehe los, wohin auch immer. Jede weitere Minute mit Warten zu verbringen, wäre eine unnütze Verzögerung.«
»Richtig«, nickte Finch. »Warum dann der Einbruch in deine Wohnung? Warum der Einsatz bei Compton? Wir waren noch keine Stunde bei ihm, da klingelten sie auch schon an der Tür. Wenn nur das Auftauchen von Salam in England der Auslöser gewesen wäre, dann hätten sie ein wenig länger gebraucht. Nachricht, Besprechung, Abwägung, dann erst der Einsatz und Zugriff. Der MI 6 ist immer noch ein staatlicher Geheimdienst voller Beamter. Deshalb wette ich, dass sie von unserer Ankunft erst erfahren haben, als sie bereits auf dem Weg in die Charlotte Road waren. Der perfekte Vorwand, um bei Compton zu klingeln und mit der Tür ins Haus zu fallen.«
Llewellyn runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und musterte Finch aufmerksam. »Peter hat recht. Wir hätten dich schon vor langer Zeit rekrutieren sollen.« Er trommelte mit den Fingern auf die Lehne des Sitzes und überlegte. »Gut, entwickeln wir eine Hypothese. Nehmen wir einmal an, der weise Mann hat nichts verraten, selbst nachdem sie ihm beide Hände abgehackt hatten. Vielleicht wurde er bewusstlos, vielleicht blieb er hart, vielleicht starb er unter ihren Händen. Möglicherweise verfluchte er sie, bevor er die Augen für immer schloss. Wir haben in meinem Stiegenhaus erlebt, dass die Feen auch hier mitten unter uns sind – und sie sind in der Tat gnadenlos.«
Er warf einen respektvollen Blick zu Salam, der nach wie vor fest schlief.
»Frustriert zerstörten sie seine letzte Skulptur, legten einen Brand, um die Spuren zu verwischen und verschwanden wieder. Bevor sie in die wartenden Geländewagen einstiegen, ließen sie das Kaugummipapier zurück. Konnte nichts schaden, wenn es auch nichts nützte. Mission gescheitert, alles umsonst. Zurück nach England.«
»Was die ISI seinerseits nicht viel kümmerte«, setzte Finch fort. »Der Geheimdienst sah seine Chance, die Oberhand in einem Gebiet zu gewinnen, das schon seit langem auf seiner Liste stand: das letzte halbwegs sichere Stück der Grenze zu Afghanistan. Das hat uns Salam eindrucksvoll klargemacht auf dem Flug nach London. Der alte Mann war tot, der Chief Inspector auf der Flucht, der Provinzgouverneur vielleicht ein Sympathisant des Geheimdienstes. Mit allen anderen würde man fertig werden. Dem politischen Erdrutsch in den Northwest Territories stand nichts mehr im Wege.«
»Bisher passt alles zusammen«, gab Llewellyn zu. »Wir kommen den Antworten näher. Die Kommandogruppe kehrt heim nach England, leider ohne Ergebnisse. Die Informationen, die sie im Hochtal bei Chitral gesucht hatten, haben sie nicht gefunden. Sie standen wieder am Anfang.«
»An welchem Anfang?«, warf Finch ein. »Wer oder was hat sie überhaupt dazu bewogen, nach Pakistan zu fliegen? Was immer es war, es müssen verlockende Aussichten gewesen sein.«
»Geld, Macht, Ruhm und Ehre?« Llewellyn wiegte den Kopf. »In einem gottverlassenen Hochtal im Hindukusch? Glaubst du nicht, du übertreibst?«
»Wie auch immer«, meinte Finch. »Gehen wir weiter chronologisch vor. Dieselbe Gruppe bricht kurz nach ihrer Rückkehr in deine Wohnung ein, stellt alles auf den Kopf und sucht ganz klar etwas. Hängt es mit dem missglückten Einsatz im Hindukusch zusammen?«
»Der Typ, der plötzlich bei mir im Bad stand, sagte in etwa ›behalten Sie Ihre Kröten, hier geht es um viel mehr‹«, erinnerte sich der Major. »Er wartete eindeutig auf jemanden, schaute immer wieder auf die Uhr. Wollten die nochmals mit dem Feinkamm durch die Wohnung gehen, nachdem sie beim ersten Mal nichts gefunden
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