Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
Vom Netzwerk:
Tante Ju. Eine Legende der Luftfahrt und heute unser ganz persönlicher Linienflug nach Paris.«

10 Die Legende der Victor Schoelcher

Merianstraße, Kronberg im Taunus/Deutschland
    Das Mittagessen hatte etwas länger gedauert und war nahtlos in einen Nachmittagstee übergegangen. Die beiden Gärtner hatten begonnen, die Rosenranken hochzubinden, und Professor Siegberth wandte sich den Fotos zu, die in der Schachtel gemeinsam mit dem Tagebuch gefunden worden waren. Konstantinos hatte nach einigem Zögern Cannotiers gesamtes Konvolut aus seinem Büro geholt und vor der Wissenschaftlerin deponiert, bevor er sich eine Zigarre angezündet und Siegberth beobachtet hatte, die ein Bild nach dem anderen aufmerksam untersuchte und immer wieder Kommentare oder Anmerkungen zu einzelnen Aufnahmen machte.
    »Wissen wir, wie Alphonse Cannotier oder sein Bruder aussahen?«, fragte sie ihren Gastgeber. »Es könnte sich bei einigen dieser Fotos um Familienbilder handeln, und wir wissen es gar nicht.«
    »Nein, leider. Wir haben kein Gesicht zum Namen«, meinte Konstantinos bedauernd. »Die Fotos sind aus verschiedenen Zeitabschnitten des letzten Jahrhunderts, das kann man unschwer am Papier der Abzüge und an der Art der Entwicklungen erkennen.«
    Siegberth nickte gnädig. Innerlich war sie auf der Hut. Ihr griechischer Auftraggeber war nicht dumm, das war ihr in der Zwischenzeit klar geworden. Er hatte einen scharfen Intellekt und beobachtete genau. Zudem verstand er es zu kombinieren.
    Sie nahm ihr Vergrößerungsglas und betrachtete das Schwarz-Weiß-Foto eines Dampfers, ein Handelsschiff mit einem gedrungenen, vermutlich weiß-roten Schornstein, zwei kurzen Masten und niedrigen Aufbauten. Der Name war schwer zu entziffern. Er lief um das kanuartige Heck herum. Lediglich der Vorname »Victor« und die Buchstaben »Sch« waren zu erkennen, und auch sie nur verschwommen.
    Auf der bräunlich verfärbten Fotografie lag das Schiff vertäut in einem Hafen, an einem schmalen Kai, der im Hintergrund von einem riesigen Gebäudekomplex beherrscht wurde. Seltsamerweise befand sich auf dem hinteren Deck ein mächtiges Geschütz.
    Siegberth überlegte kurz, dann nahm sie den Stapel der bereits gesichteten Aufnahmen nochmals zur Hand und blätterte ihn erneut durch, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte. Ein anderes Bild, das eine Lkw-Kolonne neben einem Schiff zeigte. Ein anderer Hafen, doch dasselbe Schiff, zweifelsfrei. Im Hintergrund Palmen und ein weißes Gebäude, mit einer halb verdeckten Aufschrift.
    »…manderie du Po…«, murmelte Siegberth, nachdem sie das Vergrößerungsglas bestimmt zehnmal über das Foto hatte wandern lassen. Dann kam ihr eine Idee. »Lassen Sie uns doch die Bilder ordnen. Nicht nach dem, was sie zeigen, sondern nach der Größe, den Papieren, der Einfärbung. Das macht die Zuordnung am Ende bestimmt leichter.«
    Konstantinos nickte und half ihr, die etwa einhundert Fotos dementsprechend zu sortieren. Lawrence of Arabia schlossen sie aus und legten sein Bild zu den verschiedenen Postkarten, die Cannotier wohl im Laufe seines Lebens erhalten und aus sentimentalen Gründen aufgehoben hatte.
    Am Ende blieben elf verschiedene Stapel übrig. Einer mit den unterschiedlichsten Fotografien, die sich nicht zuordnen ließen, weil sie alle verschieden waren. Innerhalb der übrigen zehn Stapel wiesen die Bilder eindeutige Gemeinsamkeiten auf.
    »Wenn wir annehmen, dass unser Alphonse Cannotier die Pyramide tatsächlich im Winter 1944 / 45 angefertigt hat, in seiner Zeit bei Siemens, dann haben für mich die Fotos, die vor dieser Zeit entstanden sind, eindeutig Vorrang«, meinte Siegberth. »Und außerdem müssen wir irgendwo beginnen«, setzte sie hinzu. »Also … nehmen wir die Farbfotos aus dem Spiel, genauso wie jene, die in den Fünfzigern und Sechzigern oder noch später entstanden sind. Eindeutig zu erkennen an den Modellen der Autos, an der Mode und anderen Details.«
    Sie schob ein halbes Dutzend Stapel zusammen und legte sie in die Schachtel zurück.
    »Ordnen wir die verbliebenen ebenfalls nach der Zeit ihrer Entstehung, dann müssen wir mit diesen hier beginnen.« Sie deutete auf einige der am meisten verblichenen Abzüge, die fast alle Straßenszenen in einer eindeutig afrikanischen Stadt zeigten. »Gehen wir davon aus, dass es sich um Dakar handelt, der Geburtsstadt von Cannotier. Die schwarzen Frauen mit ihren traditionellen Gewändern und den Körben auf dem Kopf, die Trikolore auf dem Gebäude im

Weitere Kostenlose Bücher