Heiß
Tagen, nachdem bekannt wurde, dass der Transport nicht nach Casablanca, sondern nach Dakar gehen würde. Mehr als tausend Tonnen Gold. Die gesamten Reserven der französischen und der belgischen Nationalbank.«
Majors pfiff lautlos durch die Zähne. In diesem Augenblick wurde von der Victor Schoelcher die Gangway ausgebracht, und zwei Polizisten nahmen Aufstellung. Den kleinen Mann im dunklen Anzug, der als Erster das Schiff verließ, befragten sie kurz, kontrollierten seinen Pass und salutierten. Dann wandten sie sich wieder ab. Auch die Soldaten schienen kein besonderes Interesse an dem Neuankömmling zu haben.
»Und wer ist das?«, wunderte sich Majors und hob das Fernglas erneut, um die Gesichtszüge des Fremden besser zu sehen. »Gehört wohl nicht zur offiziellen Begleitung.«
Cannotier stieß sich von der Wand ab. »Das werden wir gleich sehen …«, meinte er und lief los. Majors sah ihm kurz hinterher, dann verschwand er ebenfalls in einer der schmalen Seitenstraßen. Es war an der Zeit, nach London zu telegraphieren.
Die größte Goldflotte der Geschichte war in Afrika angekommen.
Merianstraße, Kronberg im Taunus/Deutschland
Nach einer Unterbrechung der Besprechung auf der Terrasse – Konstantinos hatte sich ziemlich rasch und einsilbig für zwei Stunden entschuldigt und war mit der Pyramide und dem Nachlass von Cannotier in sein Büro verschwunden – war Professor Siegberth in die Bibliothek zurückgekehrt und hatte ihre geometrischen Berechnungen der Pyramide noch einmal überprüft. Zufrieden mit dem Ergebnis und verwirrt darüber, dass der Grieche sie nicht informiert hatte, wann und wohin die Victor Schoelcher unterwegs gewesen war, hatte sich die Wissenschaftlerin an ihren Laptop gesetzt und versucht, im Internet Details über den Dampfer und seine Reise herauszufinden.
Es dauerte nicht lange, und sie stieß auf einige Seiten, die auf das Schiff Bezug nahmen. Die meisten waren auf Französisch und verrieten, dass der Schoelcher kein langes Leben beschieden gewesen war. Der Hilfskreuzer war versenkt worden, keine drei Jahre nach dem Stapellauf.
Einige der Einträge führten sie weiter, verwiesen auf eine unglaubliche Geschichte. Der Hilfskreuzer habe einen Teil des Goldvorrats der französischen Nationalbank an Bord gehabt, behauptete eine Gruppe von Forschern. Siegberth beugte sich vor und las wie gebannt. Nach mehr als einer Stunde griff sie zum Telefon und rief einen alten Bekannten an der Universität Wien an, der sich auf das Vichy-Regime und die politischen Hintergründe in Westeuropa während des Zweiten Weltkriegs spezialisiert hatte. Er schien ein wenig überrascht, Siegberth zu hören und war noch erstaunter, als er den Grund ihres Anrufs erfuhr.
»Meine Liebe, Sie bewegen sich auf dem rutschigen Parkett der französischen Hitler-Sympathisanten. Vichy und sein Gegenspieler de Gaulle prägten über Jahrzehnte hinaus das Verhältnis der Franzosen zu den Deutschen. Dazu die Résistance, jede Menge Animositäten, Kriegsgräuel der Wehrmacht und der Einsatztruppen im besetzten Frankreich. Ich sage nur Klaus Barbie. Und dann noch die keineswegs unumstrittene Rückerstattung von verschiedenstem Staatsbesitz und Kulturgütern nach dem Krieg durch die Sieger. Dünnes Eis, Frau Kollegin. Themen, die größtenteils nie oder nur mangelhaft aufgearbeitet wurden und bis heute für Diskussionen und Verstimmung zwischen den Nationen sorgen. Worum geht es bei diesem Schiff genau?«
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund stockte Siegberth, als sie beginnen wollte, den Wiener Professor einzuweihen.
»Ich … also wissen Sie, ich bin mir nicht ganz sicher …«, begann sie. Währenddessen dachte sie fieberhaft nach.
Sollte sie den Nachlass erwähnen? Nein.
Cannotier? Nein.
Ihren Auftraggeber? Nein.
Die Pyramide? Niemals.
Und was den Inhalt der Kisten betraf – dafür gab es vorerst keinerlei nachprüfbare Grundlage.
»Was wissen Sie von der Victor Schoelcher?«, fragte sie stattdessen vorsichtig und war sich bewusst, dass dies ein wenig lahm klang.
Der Wiener Historiker schien keinen Verdacht zu schöpfen. »Ehrlich gesagt, sehr wenig«, antwortete er ein bisschen ratlos. »Ich glaube mich dunkel an den Namen des Schiffes zu erinnern, aber mir fehlt der Zusammenhang. Sommer 1940 sagten Sie?«
Siegberth murmelte zustimmend etwas Unverbindliches.
»Ein ereignisreiches Jahr, wie Sie wissen«, antwortete der Historiker. »In zwei schnell aufeinander folgenden Blitzkriegen bringt das Deutsche
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