Heiß
Reich von April bis Juni Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande, Luxemburg und schließlich Frankreich unter seine Herrschaft. Am 10 . Mai begann Hitler die Offensive an der Westfront mit dem erklärten Ziel, Frankreich zu besetzen und zu unterwerfen. Kaum einen Monat später, am 5 . Juni 1940 , beginnt der Vormarsch gegen die Grande Nation und wird ein weiterer Blitzsieg. Schon am 14 . Juni marschieren deutsche Truppen in Paris ein, drei Tage später erklärt die französische Regierung die Kapitulation. Der Waffenstillstandsvertrag von Compiègne am 22 . Juni schließlich teilt Frankreich in eine besetzte Nord- und eine unbesetzte Südzone auf, die unter der Regierung Marschall Philippe Pétains eng mit dem Reich kooperieren soll.«
»Die Schoelcher lief am 18 . Juni aus Lorient aus«, warf Siegberth ein, um den Redefluss des Wiener Kollegen einzudämmen.
»Aah, Lorient, einer der wichtigsten späteren Stützpunkte der Deutschen Wehrmacht an der Atlantikküste.« Die Wissenschaftlerin hörte ihren Kollegen in Österreich blättern. »Sie meinen, das Schiff lief einen Tag vor der Besetzung aus?«
»Und vier Tage vor dem Waffenstillstand«, bestätigte Siegberth.
»Moment, ich sehe gerade in meinen Unterlagen nach«, meldete sich der Historiker aus Wien nach einer Minute des Nachschlagens und Murmelns. »Einer meiner Dissertanten hat über Lorient und die Bedeutung des Hafens für die Deutsche U-Boot-Flotte geschrieben.«
Siegberth hörte Seiten rascheln. Blätterte der Wiener Historiker die gesamte Dissertation durch?, fragte sie sich. »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Frau Kollegin«, meldete sich der Wissenschaftler schließlich wieder zurück. »Ich habe hier eine Notiz gefunden, wonach die Victor Schoelcher bei dem Versuch, den Hafen von Lorient zu verlassen und das offene Meer zu erreichen, auf eine deutsche Mine lief und sank.«
Die Professorin bedankte sich und legte nach ein paar Höflichkeiten rasch auf. Sie wusste nicht, ob sie erleichtert oder verärgert sein sollte. Lag die Schoelcher wirklich auf dem Grund des Atlantiks? Oder irrte sich der Dissertant und mit ihm der Wiener Historiker? Oder hatte Cannotier den Dampfer vor dem 18 . Juni 1940 fotografiert und war die Schoelcher tatsächlich vor Lorient gesunken? Doch die französischen Seiten im Internet berichteten etwas ganz anderes.
Andererseits – hatte die Schoelcher etwas mit der Pyramide zu tun, die Konstantinos offenbar so sehr am Herzen lag?
Sie stand auf und trat auf den Balkon der Bibliothek hinaus, blickte über das Maintal, über dem ein leichter Smog aufzog. Was sollte sie von den – zugegebenermaßen teilweise widersprüchlichen – Quellen im Internet halten? Wenn auch nur ansatzweise stimmte, was sie berichteten, dann … In diesem Moment unterbrach das Geräusch einer Tür ihre Überlegungen, und Konstantinos trat ein. Er blickte sich kurz suchend um, entdeckte Siegberth auf dem Balkon und stellte mit ernster Miene die kleine Pyramide auf den runden Tisch.
»Können wir fortfahren?«, meinte er und setzte sich. »Sie haben mir einige Resultate zu dem geometrischen Körper versprochen.«
»Die Victor Schoelcher …«, begann Siegberth, doch Konstantinos winkte ab.
»Vergessen wir das Schiff für einen Moment und widmen wir uns bitte der Pyramide von Cannotier.«
Die Wissenschaftlerin sah ihren Auftraggeber forschend an, zuckte dann mit den Schultern. »Wie Sie wünschen«, sagte sie spitz und zog ihre Aufzeichnungen aus der Mappe. »Es handelt sich bei der Glaspyramide um eine sogenannte regelmäßige Pyramide. Die Grundfläche bildet ein Quadrat von 1 , 5 mal 1 , 5 Zentimeter. Jede regelmäßige Pyramide wie diese ist auch gerade, das heißt die Höhenlinie trifft genau im Zentrum auf die Basis. Die Höhe unserer Glaspyramide beträgt exakt 3 , 4 Zentimeter. Daraus ergeben sich nach den üblichen Formeln folgende Maße.«
Siegberth setzte ihre Brille auf und las vor: »Die Länge der vier Steilkanten beträgt 14 . 246403 Zentimeter, die Mantelfläche, also die Fläche aller vier Dreiecke, beträgt 11 . 148542 Quadratzentimeter, die gesamte Oberfläche 13 . 398542 Quadratzentimeter. Die Berechnung der Gesamtkantenlänge bei einer quadratischen Pyramide ist dann kein Kunststück und ergibt bei dieser hier 20 . 246403 Zentimeter. Bleibt nur noch das Volumen, der Inhalt: 2 , 55 Kubikzentimeter.«
Sie schob Konstantinos das Blatt mit den Resultaten zu. »Meine mikroskopische Untersuchung hat ergeben,
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