Heiß
Weltkrieg unterstellt, der die Zeichen der Zeit verkannt hat und deshalb das Bureau in den vergangenen Jahren in eine informationstechnische Sackgasse führte. Der Dienst sammelte zwar sehr erfolgreich militärisch relevante Informationen, da er den verschlüsselten Funkverkehr militärischer und diplomatischer Dienststellen abhörte, Schiffsbewegungen im Atlantik, Pazifik, im Indischen Ozean und im Mittelmeer und deutsche Aufklärungsflugzeuge über französischem, belgischem und niederländischem Territorium beobachtete, war aber nicht in der Lage, diese Informationen auch umzusetzen und in die militärische Planung einfließen zu lassen.«
Der Unbekannte hielt inne und versicherte sich mit einem Seitenblick, dass Cannotier ihm aufmerksam zuhörte.
»Der Nachrichtendienst des Heeres, dem ich angehöre, arbeitet im Kriegsministerium an der Seite des Deuxième Bureau und unterhält seit den dreißiger Jahren ausgedehnte Agentennetze in Deutschland, Italien und der Sowjetunion. Die erzielten Erkenntnisse wurden bis vor kurzem mit dem Secret Intelligence Service geteilt. Die Engländer wiederum ließen uns Informationen zukommen, die wir sonst niemals erhalten hätten. Sehr heikle Informationen, wohlgemerkt. Dann kam der Paukenschlag: Die Niederlage Frankreichs in diesem Monat verändert alles. Während nach dem Einmarsch der Deutschen das Deuxième Bureau offiziell aufgelöst worden ist, betrachtet der Nachrichtendienst des Heeres den Krieg als nur vorübergehend unterbrochen und hat sich geweigert, mit Vichy zusammenzuarbeiten.«
»Sehe ich das richtig, dass der SR Guerre also in den Untergrund gegangen ist, anstatt mit den Deutschen zu kollaborieren?«, fragte Cannotier nach.
Der Unbekannte nickte. »Ein Teil zog unter einem Tarnnamen nach Marseille, der andere ging in den Untergrund. Damit tauchte jedoch ein großes Problem auf: Das riesige Archiv, das seit mehr als fünfzig Jahren angesammelt worden war, musste dem Zugriff der Deutschen entzogen werden. Listen von Agenten, Erkenntnisse aus weltweiten Aktionen, ganze funktionierende Netzwerke, die nach wie vor bestehen, brisante Berichte über Entwicklungen in Frankreich und in ganz Europa, Analysen und Bewertungen, politische Skandale und ihre oft ausländischen Drahtzieher werden in diesen Archiven genannt. Dazu kommen die Informationen der Briten, die wir im Austausch erhalten haben. Unvorstellbar, was passieren könnte, wenn dieses Archiv in die falschen Hände geriete.«
»Verständlich«, murmelte Cannotier. »Betrachten Sie Ihre Einladung zum Diner meines Vaters heute Abend als verbindlich. Pünktlich um 19 . 00 Uhr in der Villa Cannotier. Wo befindet sich das Archiv jetzt?«
Nach einem Moment des Zögerns zeigte der Unbekannte mit ausgestrecktem Finger auf die Planken, auf denen er stand. »Genau unter uns. Und danke für die Einladung. Ich werde pünktlich sein.« Damit drehte er sich um und ging ohne sich umzublicken in die entgegengesetzte Richtung davon.
Orly Airport, südlich von Paris/Frankreich
Amber Rains kaute nervös an ihrer Unterlippe und drückte zum fünften Mal die Klingel an der Tür des Hangars.
Nichts. Die Tore des Gebäudes waren fest verschlossen.
Niemand öffnete.
Und Pierre Fontaine war weit und breit nicht zu sehen.
»Ich möchte nicht drängen …«, begann Salam, aber die Pilotin hatte bereits ihr Mobiltelefon aus der Tasche gezogen und wählte die Nummer von Charly.
»Besetzt!«, murmelte sie frustriert und starrte das Handy an, als wolle sie es hypnotisieren. »Jetzt komm schon … Leg auf, Charly!«
Finch blickte durch die Scheiben in ein dunkles, verlassen daliegendes Büro. Llewellyn ging auf und ab wie ein Tiger im Käfig, mit gesenktem Kopf und tief in den Taschen vergrabenen Händen.
Ein startender Jet donnerte genau über sie hinweg und brachte die Luft zum Vibrieren.
Da schoss ein VW -Golf in den Farben des Flughafens um die Ecke und hielt genau vor dem Major an. Der Mann, der heraussprang, trug Jeans und Pullover und hatte eine dünne Mappe unter seinen Arm geklemmt.
»Pierre!« Die Erleichterung war der Pilotin anzuhören. »Endlich! Wo warst du?«
»Amber, ma chère!« Er küsste Rains auf beide Wangen und sah sie forschend an. »Schön, dich zu sehen! Was soll die Eile? Bist du auf der Flucht?«
»Du weißt nicht, wie nahe du der Wahrheit kommst«, entgegnete Amber vorsichtig und blickte sich um. »Wir sollten schon in der Luft sein.«
Pierre runzelte besorgt die Stirn. »Von Eile und Hektik hat
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