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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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entziffern. Siegberth sah ihm über die Schulter.
    »Wir sollten es mit dem Mikroskop versuchen«, schlug sie vor. »Was immer Cannotier auch darauf verewigt hat, es ist definitiv sehr klein.«
    Der Grieche nickte und schob den kleinen Film unter das Okular. Dann stellte er scharf. Die Nachricht bestand aus zwei Zeilen:

    »Cannotier hat eine internationale Botschaft hinterlassen«, murmelte Konstantinos anerkennend. »In jeder Sprache les- und lösbar. Mathematische Formeln.« Er notierte sich die beiden Zeilen auf einem Blatt und tippte mit der Spitze des Kugelschreibers drauf. »Sind Sie diesen Elementen bei Ihrer Pyramidenberechnung begegnet?«
    Die Wissenschaftlerin sah ihren Auftraggeber nachdenklich an, dann schlug sie ihr Notizbuch auf und blätterte. »Ganz recht, bei der ersten Zeile handelt sich um die Formeln für die Gesamtkantenläge und die Oberfläche der Pyramide.«
    »Würden Sie die Resultate nochmals vorlesen?«
    »Die Gesamtkantenlänge beträgt bei dieser Pyramide 20 . 246403 Zentimeter, die gesamte Oberfläche 13 . 398542 Quadratzentimeter«, zitierte Siegberth.
    »Dann notieren wir das genauso, wie es Cannotier beabsichtigt hat«, sagte Konstantinos und schrieb:
    20 . 246403  N + 13 . 398542  W
    »Für mich ganz klar eine geographische Längen- und Breitenangabe«, fuhr er fort. »Beschränken wir uns auf die ersten vier Stellen nach dem Komma, dann ergibt die erste Zahl 20 . 2464 und die zweite 13 . 3985 .«
    »Und in der ersten Zahl ist eine 64  …«, wunderte sich Siegberth.
    »Genau. Also gehen wir zur zweiten Zeile über. Die lautet: 64  =+ 1 .+ 4 . Das Konzept ist einfach. Aus der 64 machen wir eine 4 , dafür rechnen wir an der vorherigen Stelle einen Zähler dazu. Ergibt 20 254 oder als geographische Breite ausgedrückt – 20 . 25 . 4 W. Ich wette, die zweite Zahl ist die Länge, und damit ergibt sich ein ganz bestimmter Punkt, den Cannotier uns mitteilen wollte. Nämlich auf 13 . 02 . 3 N.« Er schaute Siegberth triumphierend an. »Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wo der furchtbare Ort liegt.«
    »Das war also sein Vermächtnis, das den Irrsinn des Zweiten Weltkriegs überleben musste«, stellte die Wissenschaftlerin fest und startete Google Earth. »Ein geographischer Wegweiser, versteckt in der Glaspyramide und der Metallhülle.«
    »Genial einfach und doch kompliziert genug für alle, die die Pyramide vielleicht zufällig gefunden hätten«, ergänzte Konstantinos. »Ohne das Tagebuch wäre der Zylinder mit dem geometrischen Körper nutzlos gewesen. Umgekehrt genauso. Ohne Pyramide keine Ortsangabe. Nur wer beides zusammenbringt, wer es versteht, den Hinweisen zu folgen, den bringt sie zu dem, wie er es formulierte, geradezu unglaublichen Geheimnis.«
    »Und an den Ort, den er mit dem Satz ›Terribilis est locus iste‹ beschrieb«, setzte Siegberth fort. Dann runzelte sie die Stirn und drehte wortlos den Laptop zu ihrem Auftraggeber.
    Konstantinos blickte auf graue Einöde, die nicht von dieser Welt schien. Kein Baum, kein Strauch, kein einziger Grashalm waren zu sehen. Die menschenfeindliche Gegend wurde von ausgetrockneten Flussläufen durchzogen. Pittoreske Gebirgsketten schlängelten sich ohne jede erkennbare Richtung kreuz und quer.
    »Nicht gerade die Champs-Élysées«, murmelte Konstantinos. »Wo sind wir hier?«
    »In Mauretanien, im Adrar-Gebirge, rund zehn Kilometer südlich von einer Stadt namens Atar. Lebensfeindlich, menschenleer, heiß und trocken.«
    Stille senkte sich über die Bibliothek. Konstantinos’ Blick irrte zwischen den geometrischen Berechnungen, Cannotiers Formeln und dem Bildschirm des Laptops hin und her. Zum ersten Mal in dieser ganzen Geschichte war er unschlüssig und unsicher.
    Waren die Berechnungen korrekt?
    Oder hatte der Franzose alle nur an der Nase herumgeführt mit seiner Pyramide und den Tagebüchern?
    War er unter Umständen tatsächlich ein Wichtigtuer, wie die Wissenschaftlerin vermutet hatte?
    Professor Siegberth riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich habe zuvor in einem Gespräch mit einem Wiener Kollegen die Legende der Victor Schoelcher erörtert.« Sie beobachtete den Griechen aufmerksam, aber kein Muskel zuckte in seinem Gesicht. »Das Schiff lief von Lorient in Frankreich aus und transportierte eine unvorstellbar wertvolle Fracht. Mehr als siebzig Tonnen Gold der polnischen Zentralbank sollten in Sicherheit gebracht werden. Erst nach Casablanca, dann nach Dakar.«
    Konstantinos sah sie milde interessiert an.

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