Heiß
schüttelte benommen den Kopf. Wo war dieses verfluchte Handy? Ach ja, in der Tasche seiner Jeans.
Der Anrufer war hartnäckig und dachte nicht daran, aufzugeben. Völlig benommen ließ er sich neben den Jeans auf den Boden sinken und kramte. Dann nahm er das Gespräch mit einem »Ich bin tot!« an.
»Von mir aus. Hättest du für dein Coming-out nicht einen besseren Termin wählen können?«, drang die Stimme von Frank Lindner, seinem Chef bei der Mordkommission, an sein Ohr.
»Hääh?«, machte Calis nicht gerade sehr intelligent und versuchte krampfhaft, wach zu werden.
»Ich kann nicht schlafen, hole mir etwas zu trinken aus dem Kühlschrank, schalte das Fernsehen ein und sehe dich am Tatort unter einem rosa Schirm, der bei jedem Schwulentreffen Furore machen würde. Eiferst du unserem Bürgermeister nach, oder willst du wieder etwas mehr Farbe in den Polizeiapparat bringen?« Das hämische, glucksende Lachen beseitigte die letzten Spinnweben in Calis’ Gehirn.
»Diesen verdammten Schirm soll der Teufel holen und Arthur Bergner gleich noch dazu«, murmelte Thomas Calis. »Woher weißt du davon?«
»Ach, nur aus den Eilmeldungen im rbb«, wiegelte Lindner genüsslich ab. »Morgen bist du das Stadtgespräch. Nette Imagekampagne, könnte von mir sein. Wie viel zahlt Condomi?«
»Es hat geschüttet, Frank, und … ach was, vergiss es«, brummte Calis. »Dieses Wochenende ging einfach alles schief. Alice war allein auf Sylt, zumindest anfänglich, wie ich sie kenne, mit Tante Louises Garten hat sich die Natur an mir botanischem Kleingeist gerächt, und der Mord in Moabit ist ein völlig undurchsichtiger Fall, und das nicht nur wegen des Gewitters.« In kurzen Zügen schilderte der Kommissar seinem Chef und Freund den Sachverhalt.
»Du meinst, es hat ihn jemand mit dem Auto angefahren und ihm danach auf offener Straße die Gurgel durchgeschnitten?«, wunderte sich Lindner. »Dann waren es Killer, die einen Auftrag hatten oder ein brutaler Racheakt. Das sieht mir nicht nach einer betrogenen Ehefrau aus.«
»Dieser Tronheim war Single, wie mir sein Kollege verraten hat«, ergänzte Calis. »Aber morgen werde ich mich darum kümmern, sobald ich wieder klar denken kann. Du bekommst einen Bericht.«
»Schlaf dich aus«, meinte Lindner gönnerhaft, »wenn du um acht da bist, reicht das allemal.«
»Abends, meinst du?«, erkundigte sich Calis hoffnungsvoll.
»Morgens meine ich«, korrigierte ihn sein Chef. »Oder hast du die Besprechung beim Innensenator um neun vergessen?«
Calis stöhnte und schloss die Augen. »Und wann bitte soll ich schlafen?«
»Wie wär’s mit schnell, tief und jetzt?«, regte Lindner an. »Bete zu Gott, dass der Innensenator früh schlafen geht und danke dem Herrn, dass kein Zeitungsreporter vor Ort war.«
Siedend heiß fielen Calis der Blitz und der Fotograf ein, und er fluchte still. Vielleicht sollte er für ein paar Tage aufs Land ziehen? Irgendwo auf einer Datscha zwischen Spreewald und polnischer Grenze verschwinden? Laut sagte er: »Wir sehen uns morgen im Büro, Frank. Oder auch nicht. Dann habe ich mich an Tante Louises Apfelbäumchen erhängt.«
»Wenn du dabei Hilfe brauchst, dann lass es mich wissen«, meinte Lindner trocken und legte auf.
Calis überlegte, gleich auf dem Boden im Flur zu schlafen, verwarf den Gedanken aber dann doch wieder. Er tastete sich im Dunkeln ins Wohnzimmer zurück. Keine zwanzig Sekunden, nachdem er sich aufs Sofa hatte fallen lassen, war er im Tiefschlaf.
So verpasste er auch die SMS , die ihm Alice geschickt hatte und die zwei Minuten später eintrudelte. Sie bestand nur aus zwei kurzen Sätzen: »Du schwuler Arsch! Ruf mich nie wieder an.«
2 Der Wendekreis der Angst
22 . 3 . 1314 , Festung Peñíscola/Königreich Aragonien
Die Morgenröte über dem Mittelmeer tauchte die majestätische Burg mit ihren quadratisch-strengen Türmen auf der vorspringenden Landzunge in ein unwirkliches Licht. Es war ein klarer Frühlingsmorgen, und die Luft roch nach Salz, Meer und Weite. Die ersten Möwen schossen kreischend durch die Luft über dem breiten Strand, der in einer sanften Kurve auf die Festung zulief. Peñíscola, die neue Templerburg, wachte trutzig über der Küste der Orangenblüten. In der Ferne leuchteten die Segel einiger Fischerboote rosa über den silbernen Wellen.
Für all das hatte der Reiter, der den Strand entlanggaloppierte, nur wenig übrig. Sein Umhang war staubig, das Hemd verschwitzt und an einer Stelle zerrissen, die
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