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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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glaubte. Endlich, lange nach Einbruch der Dunkelheit, fast einen Tag später, hatte er sich vor Kälte zitternd umgedreht und geschworen, entweder bald genauso zu sterben oder zum Andenken an seinen Vater noch besser zu werden.
    Am Limit zu fliegen und trotzdem zu überleben.
    An die nächsten Tage konnte sich John Finch nicht mehr erinnern. Irgendwann hatten die Behörden seiner Mutter den Tascheninhalt ihres Mannes ausgehändigt, darunter einen Silberdollar von 1844 .
    Es war das einzige Erinnerungsstück an seinen Vater, das er mitnahm.
    Wortlos hatte er seinen kleinen Koffer gepackt, sich seine Fliegerjacke um die Schultern gehängt und das wenige Geld, das er gespart hatte, in die Tasche gestopft. Nachdem er seine Mutter flüchtig umarmt hatte, machte er sich auf den Weg zum Bahnhof, zu Fuß, durch den strömenden Regen.
    So sah niemand seine Tränen.
    Er wollte weg, nur weg. Weg aus dem engen, kalten und nassen England, weg von den Erinnerungen an sein einziges Idol, weg von seinem bisherigen Leben. Früh genug musste er erkennen, dass man nicht vor allem davonlaufen konnte.
    Aber diese Erkenntnis kam erst in Afrika.
    Am Bahnsteig angekommen, schlenderte er ziellos auf und ab. Der Regen hatte nachgelassen, und Windböen trieben Zeitungsfetzen über den feuchten Asphalt. John Finch hatte noch immer keine Ahnung, wohin er fahren sollte.
    Der nächste Zug?
    Fuhr nach London. Auch gut, sagte er sich und steuerte die einzige Bank unter dem Vordach an, auf der eine alte Frau trotz der Kälte vor sich hin döste. Da fiel ihm plötzlich ein verblasstes Plakat ins Auge, das neben einem zerschrammten Zigarettenautomat hing und im Wind flatterte. Es machte Werbung für das Hotel Continental-Savoy in Kairo. Im Schattenriss thronte die Sphinx vor drei Pyramiden unter einem heißen Himmel, umgeben von Sanddünen und beschienen von einer glutroten Sonne.
    Plötzlich wusste John Finch, wohin ihn sein Weg führen würde.
    So geschah es, dass ein blasser junger Mann einen Tag später durch die Drehtür aus geschliffenem Glas zum ersten Mal das ehrwürdige Hotel an der Shareh Gomhouriah in der ägyptischen Hauptstadt betrat und nach einem Blick auf die Zimmerpreise beschloss, mit dem Schicksal zu pokern.
    Seine Ersparnisse reichten nämlich gerade Mal für sieben Nächte. Danach war er entweder pleite oder er hatte einen Job, der ihm sein Leben hier im Hotel finanzieren würde.
    Vier Tage später verlängerte er sein Zimmer auf unbestimmte Zeit und flog seinen ersten Auftrag. Der Algerienkrieg tobte, und man suchte junge, unerschrockene Männer, die Geld brauchten, nichts zu verlieren hatten und flogen wie der Teufel. Man stellte keine Fragen und erwartete auch keine. Fluglizenz? Nebensächlich. »Bring die Kiste heil wieder zurück, und du bekommst den nächsten Auftrag«, hieß es. »Brauchst gar nicht erst duschen zu gehen, kannst gleich wieder starten.«
    Und nun? Fast vierzig Jahre später standen wieder einmal zwei gepackte Koffer an seiner Wohnungstür, er war auf der falschen Seite der sechzig und brach dennoch erneut auf.
    Doch diesmal hatte er das Gefühl, nach Hause zu gehen.
    Es klopfte leise, und Finch blickte überrascht auf die Uhr. Für das Taxi zum Flughafen war es noch zu früh, für Versuche, ihn zum Bleiben zu bewegen, zu spät. Als er die Tür öffnete, wehte ihm ihr Parfum entgegen und er wusste, dass Fiona ihre USA -Reise seinetwegen früher beendet hatte.
    »Hallo, Cowboy«, sagte sie lächelnd und gab Finch einen Kuss auf die Wange. »Hast du gedacht, ich würde irgendwo zwischen New York und Boston herumhängen, während du hier deine Zelte abbrichst und still und leise verschwindest?« Sie strich ihm zärtlich über die Wange und sah über seine Schulter in das leere Apartment. »Sieht sehr aufgeräumt und übersichtlich aus.«
    »Leider kann ich dir nichts mehr anbieten«, sagte Finch und hielt der schlanken, dunkelhaarigen Frau seinen Becher mit Kaffee hin. »Nicht gerade ein Blue Mountain und noch dazu vom Bäcker um die Ecke. Wie geht’s deiner Mutter?«
    Fiona und ihn hatte im Jahr zuvor eine kurze, aber heftige Affäre verbunden. Nachdem Wilhelm Klausner, Fionas Großvater und Finchs letzter Auftraggeber, bei der Sprengung von Finchs Wasserflugzeug, der Albatross, ums Leben gekommen war, hatte Fionas Mutter das nächste Flugzeug aus den USA genommen und sich um das Begräbnis, die Formalitäten und die Abwicklung der Erbschaft gekümmert. Danach war sie wieder zurückgekehrt nach New York,

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