Heiß
Noch dazu war Jenna Winters in der Stadt, eine alte Schulfreundin, die als Graphikerin in München arbeitete und über das Wochenende zu einem Treffen mit Kollegen nach Berlin gekommen war.
»Aus deinem einen Absacker sind inzwischen drei Caipi geworden«, merkte Jenna etwas vorwurfsvoll an und blickte verstohlen auf ihre Uhr. »Mein Flieger geht morgen früh um acht und den sollte ich senkrecht erreichen.«
»Jetzt hab dich nicht so wegen ein paar klitzekleinen Drinks«, gab Alice zurück. »Wir sehen uns in der letzten Zeit auch nur noch einmal im Jahr.«
»Was hast du eigentlich gegen einen Besuch in München?«, wollte Jenna wissen. »Nette Typen gibt’s dort auch. A propos, wie läuft’s denn mit Thomas, deinem Kommissar? Alles im Lot?«
»Eher aus dem Lot«, winkte Alice ab. »Der macht auf Spießer und buddelt sich seit einer Woche durch den Kleingarten, den er von seiner Tante geerbt hat. Also bin ich allein nach Sylt gefahren, ohne Polizeibegleitung.«
»Was dir bestimmt nicht schwergefallen ist«, bemerkte Jenna mit einem schiefen Grinsen.
»Da hat der Osterhase gesteppt«, gab Alice zu und sah sich vorsichtig um. Dann lehnte sie sich verschwörerisch zu Jenna. »Da war ein ganz süßer Banker mit einem schneeweißen Lamborghini und sonst auch noch einer Menge hervorstechender Merkmale!«
Jenna verdrehte die Augen. »Und was erzählst du deinem Thomas? Dass du drei Tage lang spazieren gegangen bist und Austern geschlürft hast?«
»Spielverderberin!«, zischte Alice, hob ihr leeres Glas über ihren Kopf und wühlte sich durch zur Bar. »So einen brauche ich noch für den Heimweg, dann ist Schluss für heute!«, rief sie dem Barkeeper zu. Jenna sah sich inzwischen im Lokal um. In einer Ecke hing ein großer Flachbildschirm, der stumme Bilder der neusten Nachrichten in eine ziemlich uninteressierte Welt schickte. Gerade zoomte die Kamera einen attraktiven Mann Mitte dreißig mit markantem Gesicht heran, dem das nasse T-Shirt am Körper klebte. Er schien direkt einer Reklame für Männerparfum oder die unbezwingbare Reinigungskraft eines neuen Waschmittels entsprungen.
Jenna konnte den Sixpack unter seinem fleckigen T-Shirt förmlich spüren. Maskulin, in löchrigen Jeans, mit gegeltem blondem Haar. Warum stand der nicht in München an der Straßenecke und lächelte ihr zu? Der war besser als alle ihre Männer zusammen … Sie stieß Alice an und deutete auf den Bildschirm. In diesem Moment zoomte die Kamera aus und ein rosa Schirm erschien im Blickfeld, der wie ein Baldachin mit kleinen Bommeln über dem schlanken Mann schwebte und auf dem Werbung für Kondome gemacht wurde.
»Ach Scheiße«, entfuhr es Jenna, »die best aussehenden Männer sind immer schwul!«
Alice schien mit einem Mal wie erstarrt. Ihrer Kehle entfuhr ein gurgelndes Geräusch, das Jenna nicht deuten konnte. Dann wurde der Name eingeblendet: Kommissar Thomas Calis, Mordkommission.
»Ist das …?« Jenna fehlten die Worte.
Alice sah aus wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Sie schnappte nur wortlos nach Luft. Dann nickte sie, und ihre Augen blitzten auf.
»Dieses Schwein!«, zischte sie. »Von mir aus kann er sich blamieren bis auf die Knochen, aber ich wusste, dass bei dem etwas nicht stimmt! Mir so etwas anzutun! Der ist gestorben für mich!«
Als Thomas Calis den Schlüssel in das Schloss seiner Wohnungstür steckte und sich müde gegen den Rahmen lehnte, war es halb vier Uhr morgens. Vom Stock über ihm erklangen eilige Schritte. Der türkische Busfahrer auf dem Weg zur Frühschicht, dachte Calis mitfühlend und stolperte über die Schwelle, schlug die Tür zu und hatte sofort ein schlechtes Gewissen wegen der Lautstärke.
Noch im Flur zog er das nasse T-Shirt aus und stieg aus seinen Jeans. Kurz überlegte er, ob er noch duschen oder gleich schlafen sollte. Die Wahl fiel nicht schwer. Es war stickig in seiner Wohnung, und Calis öffnete ein Fenster im Wohnzimmer. Dann ließ er sich aufs Sofa fallen und streckte sich aus. Nur für einen Augenblick die Augen zumachen, dachte er, einen kurzen Moment der Ruhe genießen.
Das Läuten seines Handys riss ihn unsanft aus einem Traum, in dem er einen tiefen Krater in den Garten von Tante Louise sprengte und den Zugang verminte. Orientierungslos tastete er um sich. Dann entschloss er sich doch, die Augen zu öffnen, aber das machte es auch nicht besser. Das Klingeln schien von einem anderen Kontinent zu kommen.
»Das ist alles nicht wahr«, stöhnte Thomas Calis und
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