Heiß
ließ sich in den Lehnstuhl gegenüber fallen. »Gehen wir einfach hundert Jahre zurück und fangen wir am Beginn dieser Geschichte an. Bei Lawrence of Arabia.«
Compton nickte stumm. »Lawrence«, meinte er dann, »oder besser der Schatten des großen Lawrence. Er und seine Papiere, damit begann das Fiasko.« Er seufzte. »Dieser Colonel Ross oder Shaw oder Lawrence – oder wie immer du willst – hatte jahrelang Fakten gesammelt. Es war der Archäologe und nicht der Stratege Shaw, der interessant war. Auch für den Service. Nicht der Lawrence, der im flatternden weißen Burnus durch die Wüste ritt und von braunen Beduinenkörpern träumte, nein, der Forscher war das Problem. Politisch war er trotz seines prominenten Status bald kaltgestellt. Als er sich dann auch noch zur Armee meldete, meinte der SIS , alles sei gut.«
Compton nahm einen großen Schluck und blickte Llewellyn unglücklich an. »Aber gar nichts war gut, überhaupt nichts.«
Der Major machte ihm nicht die Freude, nachzufragen oder etwas einzuwerfen, um dem pensionierten Geheimdienstchef die Situation zu erleichtern. Er wartete. Diesmal würde es für Compton keinen einfachen Weg aus der Affäre geben. Nur einen steinigen.
»Alle glaubten, er wolle von der Bildfläche verschwinden, indem er in der Armee untertauchte«, fuhr der alte Mann im Morgenmantel schließlich etwas widerwillig fort. »Doch Lawrence wollte einfach ungestört sein, unbeobachtet seiner Wege gehen. Wer sollte dem prominenten Soldaten, dem britischen Helden Arabiens, schon etwas abschlagen? So konnte er selbst in den Hindukusch reisen und die Kalash besuchen.«
»Während er behauptete, dort Homer zu übersetzen«, warf Llewellyn ein.
»Du bist gut informiert«, gab Compton zu. »Ist es nicht seltsam, dass genau jener Brief gefunden und veröffentlicht wurde? Wie auch immer, unser Held sprach mit den Kalash, hörte ihren Erzählungen und Legenden zu, verbrachte Nächte im Kreise der Ältesten. Und verwob seine Forschungen mit ihren Mythen. Alexander der Große. War ihm nicht gelungen, was Lawrence so sehr anstrebte? Eine Vereinigung von vielen Staaten unter einer einzigen Herrschaft? Wenn auch mit dem Schwert erobert und mit harter Hand regiert, aber doch ein riesiges Reich, das von Indien bis an die Ufer des Mittelmeeres reichte?«
»Weit hergeholt«, stellte Llewellyn fest. »Was hat den Service davon abgehalten, Lawrence zu stoppen oder seine Forschungen nach dem Grab Alexanders einfach zu konfiszieren? Es wäre nicht das erste Mal gewesen.«
Compton sah verärgert aus, als er antwortete: »Und genau da entstand unser Problem. Es war ein Zusammentreffen von verschiedenen Faktoren, aber vor allem lag es an einem einzigen Mann: Frank Majors, Leiter einer Abteilung, die sich ›Cleaners‹ nannte. Er war von Lawrence besessen. Er war sein Schatten und sein Mörder, sein Verfolger und sein Nachlassverwalter. Allerdings wusste das damals niemand. Majors fütterte seine Vorgesetzten mit kleinen Informationshäppchen, die er vorsichtig selektiert und aufbereitet hatte. So schöpfte keiner Verdacht. Dazu kamen der Aufstieg Hitlers, die rechten Parteien in England, die instabile politische Lage in Europa. Der Dienst hatte alle Hände voll zu tun und keine Zeit für alte Helden. Oder für tote alte Helden.«
»Und dieser Majors?« Das Feuer im Kamin entwickelte sich nur schwer und rauchte. Ein beißender Geruch durchzog den Salon.
»Es hatte wohl lange gedauert, bis sich aus den anfangs spärlichen Informationen ein Bild entwickelt hatte. Erst nur skizzenhaft, dann unscharf, doch schließlich waren die Teile des Puzzles immer öfter an die richtige Stelle gefallen, je länger sich Majors mit Lawrence’ Vergangenheit und seinen Aktivitäten beschäftigt hatte. Also ließ Majors nicht locker, machte weiter, teils aufgrund von geheimdienstlichen Aufträgen, teils aus persönlicher Neugier. War es sein Drang, hinter die Fassade von Lawrence zu schauen? Oder die Angst, dass der in den unruhigen Zeiten sein Wissen zu politischen Zwecken missbrauchen könnte?«
Compton zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck.
»Wie auch immer, Majors begann, ein eigenes Archiv anzulegen. Er war es, der während der Zugfahrt von Oxford nach London das Manuskript der
Sieben Säulen der Weisheit
stahl. Und der nach seiner Versetzung nach Afrika selbst auf die Suche nach dem Grab Alexanders des Großen ging.«
»Woher weißt du das?«
»Ach, es gibt da in Berlin einen sehr intelligenten
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