Heiß
nur, bis du einen persönlichen Auftrag von der Innenministerin erhalten hast«, führte Llewellyn weiter aus. »Lass mich raten. Sie berichtete dir von ihrem Verdacht, dass es innerhalb des MI 6 eine Handvoll Männer gibt, die sich geschickt im Dunkel hielt, ihr eigenes Spiel spielte, unkontrollierbar agierte, versuchte, an Geldmittel heranzukommen und die hinter einem Geheimnis her war, das keiner kannte. Auf der Suche nach einem schwarzen Budget, das keiner kontrollieren konnte. Spielgeld für die schmutzigen Aktionen. So war es doch …«
Compton neigte den Kopf und schwieg.
»Während John und ich versuchten, Chief Inspector Salam in Sicherheit zu bringen, wusstest du längst, wer den Einsatz in den Bergen Pakistans auf dem Gewissen hatte, und das hat dich zutiefst beunruhigt«, fuhr Llewellyn fort. »Als ich das erste Mal hier eintrudelte und Phönix um jeden Preis herausholen wollte, warst du bereits am Strippenziehen.«
»Schon wärmer«, nickte Compton und stand auf. Er trat an den Kamin und wärmte seine Hände am Feuer.
Seltsam, dachte der Major, stand auf und folgte ihm. Eigentlich war es einer der ersten richtigen Frühsommertage und zu warm, um den Kamin anzuheizen. Dann blickte er ins Feuer, das gerade einen großen Packen Manuskripte verschlang.
Fotos von Burgen, davor junge Leute auf Fahrrädern.
Buchrücken mit gekreuzten Schwertern.
Fotos eines kleinen weißen Hauses zwischen hohen Rhododendron-Büschen.
Die Tinte der handschriftlichen Aufzeichnungen wurde tiefschwarz, bevor die Seiten in Flammen aufgingen.
Mit einem Mal wurde Llewellyn alles klar.
»Phönix hat dich angerufen«, flüsterte er entgeistert und fixierte Compton, dessen hageres Gesicht vom flackernden Feuer gespenstisch erleuchtet wurde. »Er hat als Allererstes mit dir telefoniert, noch bevor er mich kontaktiert hat. Du warst es! Du hast alles eingefädelt – ihm geraten, doch den alten, starrköpfigen Major Llewellyn anzurufen, deinen besten Mann. Nicht mehr aktiv, daher vertrauenswürdig, absolut verlässlich. Der konnte nicht zu der ominösen Gruppe gehören und würde andererseits anspringen wie ein Bluthund auf die Fährte, nicht locker lassen und Tod und Teufel mobilisieren. Am Ende würde er die Kastanien aus dem Feuer holen: Finch alarmieren, Phönix außer Landes bringen, alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen bei einer Flucht um den halben Globus.«
»Noch viel wärmer«, gestand Compton, und ein Lächeln spielte um seine Lippen.
»Und so konntest du die Mitglieder der geheimnisvollen Gruppe innerhalb des Dienstes dazu zwingen, aktiv zu werden, aus ihrer Deckung zu kommen, sich zu erkennen zu geben. Nach dem Fiasko in Pakistan, dem Schweigen des alten Künstlers im Hindukusch, dem Misserfolg in meiner Wohnung bei der Suche nach Majors’ Papieren, brannte deren Hut lichterloh. Du wiederum konntest das Problem, das dir die Innenministerin auf die Türschwelle gelegt hatte, nur auf eine einzige Art lösen: Du musstest die geheimnisvolle, unkontrollierbare Gruppe im Service, die euch immer wieder durch die Finger glitt, auf frischer Tat ertappen, um sie so festzunageln. Sie mussten alle ans Tageslicht gelockt werden, ohne Ausnahme, weil du keine Ahnung hattest, wer genau dazugehörte. Und dann landete das Tagebuch bei dir und du …«
Margaret betrat den Raum, und Llewellyn brach ab. Sie stellte ein Tablett mit Tee und einem Berg Plätzchen auf den kleinen Tisch. Dann blickte sie von Llewellyn zu Compton, sah das Feuer im Kamin und verließ lächelnd wieder den Salon.
»… und du hast es als Lockvogel benutzt, bevor du es Majors’ Archiv einverleibt hast, das schon immer in deinem Besitz war, und das du gerade im Kamin verbrennst«, fuhr Llewellyn fort. »Die Gruppe konnte das ominöse Archiv des Colonels gar nicht finden, weil es von Anfang an …«
Er unterbrach sich, überlegte kurz, dann lachte er.
»War es etwa in deinem anderen Haus versteckt, in einem der Schränke deines nicht existierenden Nachbarn?«
Compton hatte den Major nicht aus den Augen gelassen. Ein triumphierender Ausdruck lag auf seinen Zügen, und die Augen des alten Mannes blitzten im Schein der Flammen. Dann sagte er nur ein Wort:
»Heiß.«
Nachwort
Ich liebe alte Archive.
Der gelbliche Schein der Lampen, der Staub der Jahre und Jahrzehnte, die alten verblichenen Kennkärtchen auf den Regalen, Karteikästen mit klemmenden Schubladen – sie alle erzählen ihre ganz eigene Geschichte von Vergehen und Vergessen. Als ich als junger
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