Heiß
eine hochgewachsene Figur, die nur zögernd den beiden Beamten folgte.
Zeyshan.
»Ich muss aufhören«, sagte Salam schnell und legte auf. Dann kam er um den Schreibtisch herum und schloss Raza und Arheem in die Arme.
»Es tut gut, euch zu sehen«, murmelte er bewegt. »Wartet bitte einen Moment draußen, ich möchte zuerst mit Zeyshan reden.«
Der junge Pakistani lehnte an der Wand und schaute Salam unverwandt an. Dann lächelte er und streckte seine Hand aus. »Willkommen zu Hause, Chief«, sagte er leise. »Das Gewitter ist vorüber.«
»Aber die Opfer sind zu groß gewesen«, antwortete Salam betrübt. »Es tut mir so leid um deinen Vater. Er war ein tapferer Mann und eine verlässliche Stütze in all den Jahren. Ich trauere mit dir.«
»Wir werden allen ein würdiges Begräbnis bereiten«, erwiderte Zeyshan. »Ihrer Familie und meinem Vater, Shah Juan und der alten Kalash-Frau. Sie haben mich in den Bergen versteckt, als die Not am größten war. Ich bin den Feen begegnet, da oben, Chief, ganz hoch oben …«
Salam nickte. »Ich weiß«, sagte er nur, bevor er in die Tasche griff und ein Stück Stoff auf den Schreibtisch legte. Die skizzierte Figur darauf schien zu leuchten.
»Das möchte ich gerne Shah Juan ins Grab mitgeben«, meinte er dann und zog Zeyshan näher. »Er wird ihn beschützen auf dem Weg durch das Dunkel, wie er mich beschützt hat. Und er wird ihn sicher auf die andere Seite bringen.«
»Wollen Sie mir nicht die ganze Geschichte erzählen?«, fragte der junge Mann.
Salam sah durch die Scheiben seiner Bürotür nach draußen, wo Kala, Raza und Arheem tief im Gespräch vertieft waren. »Ja«, nickte er, »euch allen. Das ist das Geringste, was ich tun kann. Aber es wird eine lange Geschichte …«
II. Berlin
In der Kleingartenanlage »Sonntagsfrieden« wurden nach und nach die Rasenmäher in ihren mikroskopisch kleinen Verschlägen verstaut, die Säcke mit der Grillkohle vorbereitet und die Tische gedeckt. Es war Samstagabend, und einem kulinarischen und alkoholischen Rutsch in den Sonntag stand nichts mehr im Wege.
Hauptsache, man unternahm ihn kollektiv.
Aus manchen der kleinen Häuschen drang die Stimme von Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers, die erfolgreich versuchte, den neuesten wirtschaftlichen Schreckensnachrichten zumindest einen hübschen Anstrich zu verpassen.
Im Garten mit der Nummer 9 / 54 verstaute Thomas Calis völlig verschwitzt Schaufel, Säge und Harke und überlegte, wie er so schnell wie möglich diese unglückselige Erbschaft von Tante Louise loswerden könnte. Ein Aushang auf dem Suche/Biete-Brett in der Mitte des kleinen Hauptplatzes der Laubenpieper-Kolonie? Danach würde niemand mehr mit ihm reden. Wahrscheinlich würden alle ihren Müll in den Garten des Abtrünnigen kippen und die Hunde seine Hecke zu Tode pinkeln.
Calis stutzte. Er hatte soeben »meine Hecke« gedacht?
Das Virus war übergesprungen.
Der Kommissar schüttelte sich, holte sich eine eisgekühlte Flasche Bier aus dem kleinen Kühlschrank und suchte in den Schubladen der winzigen Küche nach dem Öffner. Wie in einem TV -Sketch hörte er das Ploppen der Bierflaschen von den Nachbargrundstücken. Dann ließ er seinen Kronenkorken knallen und sank ermattet ins Gras.
Seit heute Morgen hatte er versucht, den frühlingsbedingten Wildwuchs nach seiner Abwesenheit in den Griff zu bekommen. Selbstverständlich beobachtet und überwacht vom Triumvirat des hohen Gremiums der Laubenpieper, die immer wieder auf einem Kontrollgang wie zufällig vorbeihumpelten und über die Fliederhecke lugten. Am Nachmittag hatte Calis das Eisentor neu ausgerichtet, grün gestrichen und dann auch gleich noch den Zaun hinterher. Der Versuchung, die Gartenzwerge seines Nachbarn ebenfalls in die Farbe der Hoffnung zu tauchen, hatte er gerade noch widerstehen können. Dafür warf er wie nebenbei einen dicken Ast auf die Gleise der Modelleisenbahn Spurweite O und bereitete sich hämisch feixend auf die Entgleisung vor.
»Terrorist«, hatte sein japanischer Nachbar auf der anderen Seite grinsend angemerkt und war kurz darauf mit einer vollen Flasche Sake und zwei Gläsern aufgetaucht.
»Bruderschaft, Mastel Blastel!«
So war ihm am späten Nachmittag leicht beduselt die Gartenarbeit wie im Fluge vergangen, und das kalte Bier würde nun das letzte Kopfweh Made in Japan vertreiben.
Alles war gut im besten aller Gärten.
Naja, vielleicht nicht
alles.
In den anderen Parzellen gingen die Lichter an, und der Duft
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