Heiß
beantworten kann. Sie sind Deutscher?«
»Aus Puchheim in der Nähe von München«, nickte der Tourist etwas unsicher. »Wollen Sie meinen Pass …?«
Salam winkte ab. »Nein, nein, kommen Sie bitte hierher und sehen Sie sich das an. Nicht anfassen bitte, es ist ein Beweisstück in einer Untersuchung. Die Frage lautet: Welche Sprache ist das?«
Interessiert beugte sich der Junge über das Kaugummipapier und runzelte die Stirn. Dann lächelte er. »Das ist Deutsch, gar kein Zweifel. Es ist ein deutsches Wrigley’s-Papier.« Er griff in die Tasche und zog einen Kaugummi heraus. »Zufällig habe ich dieselbe Marke hier. Sehen Sie?«
»Darf ich das behalten?«, erkundigte sich Salam erfreut, als ihm der Junge die dünne Packung überreichte. »Ich bezahle gerne dafür.«
Der bayerische Tourist lachte auf. »Ach wo, nehmen Sie ruhig, wenn es Ihnen weiterhilft.«
»Danke«, freute sich Salam. »Wann sind Sie angekommen?«
»Ich bin heute mit anderen Backpackern aus Peschawar gekommen«, antwortete der Junge. »Soviel ich weiß, sind wir die ersten deutschen Touristen hier seit einigen Wochen. Zumindest hat uns das der Guide erzählt. Es war gar nicht leicht, die Genehmigung für die Grenzregion zu bekommen.«
»Richtig«, bestätigte der Chief und öffnete die Tür. »Danke für Ihre Hilfe und willkommen im Hindukusch. Ich hoffe, Sie genießen die Zeit hier. Und sollten Sie etwas benötigen, dann wenden Sie sich gerne an mich.« Er drückte dem Jungen zum Abschied seine Visitenkarte in die Hand. »Und geben Sie auf sich acht.«
Dann bat er Kala mit einem Nicken zu sich herein und schloss die Tür.
Seine Sekretärin sah ihn fragend an. »Die Flugsicherung …?«
Salam ließ sich in seinen Sessel fallen und legte die Hände flach auf die Schreibtischplatte. »Tja, die Flugsicherung«, wiederholte er tonlos. »Hier stinkt etwas ganz gewaltig. Ich möchte, dass Sie mir in der nächsten halben Stunde alles vom Hals halten.« Er sah auf die Uhr. »Verschieben Sie den Termin mit den Rekrutierungsoffizieren auf den Abend, und falls die Herren dann nicht mehr wollen, auf morgen. Wir waren jahrelang unterbesetzt, auf einen Tag mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an. Die Lebensläufe der Kandidaten teilen Sie mir bitte nach Fremdsprachenkenntnissen auf. Wir brauchen vierzig Männer für den Außendienst, und ich will keine Idioten mit einem nervösen Finger am Abzug hierhaben. Alles andere kann warten. Die Familie von Shah Juan verständige ich. Und sorgen Sie bitte dafür, dass der Report über die Untersuchung rund um den Tatort rasch fertig wird und auf meinem Schreibtisch landet. Keine Kopie, nur ein Original.«
Kala, die eifrig auf einem kleinen Notizblock mitgeschrieben hatte, blickte bei den letzten Worten Salams alarmiert auf. Der Chief hob die Hand.
»Kein Kommentar, und damit zitiere ich die Flugsicherung«, wehrte Salam ab. »Solange wir nicht wissen, wer oder was hinter dem Mordanschlag auf Shah Juan steht, gibt es selbst im Haus hier eine Nachrichtensperre. Die Extremisten und die Taliban haben ihre Augen und Ohren überall, und ich werde ihnen nicht zusätzliche Munition liefern. Hat sich bisher eine Gruppe zu dem Mord an Juan bekannt?«
Kala schüttelte nur stumm den Kopf.
»Eben, dann sorgen wir dafür, dass sie, solange es geht, auch nichts davon erfahren«, entschied Salam. »Weisen Sie auch Doktor Nasiri an, das Obduktionsergebnis direkt an mich zu senden.«
»Keine Kopie, nur ein Original«, ergänzte Kala ernst.
»Was würde ich ohne Sie machen?«, seufzte der Chief und zwinkerte seiner Sekretärin zu. »Aber das wissen Sie ja schon. Und jetzt lassen Sie mich telefonieren.«
Salam wartete, bis sich die Tür hinter Kala geschlossen hatte, dann zog er einen kleinen Schlüssel von einer dünnen Kette an seinem Hals, sperrte die oberste Lade seines Schreibtischs auf und holte einen alten, abgegriffenen Taschenkalender heraus. Der dunkelrote Einband aus billigem Plastik wurde von zahllosen Bruchlinien durchzogen, die golden aufgedruckte Jahreszahl 1986 war fast nicht mehr lesbar. Ein dünnes, faseriges Gummiband hielt die Seiten zusammen, und Salam zögerte einen Moment, bevor er es löste. Dann gab er sich einen Ruck.
»Für Dich, Juan, um unserer alten Freundschaft willen«, flüsterte er und schlug das dünne Buch etwa in der Mitte auf. Er blätterte und suchte ein wenig, dann fand er zwei Seiten, die mit scheinbar sinnlosen Zeichenfolgen gefüllt waren. Es gab keine Lücken, keine
Weitere Kostenlose Bücher