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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Satzzeichen, keinen Anfang und kein Ende. Ein Meer von Buchstaben ergoss sich über das karierte Papier, das an den Rändern bereits ausgefranst und vergilbt war.
    Mit dem Zeigefinger fuhr Salam wie ein Schuljunge die Zeilen entlang und entzifferte, was dort geschrieben stand. Als er nach einigen Minuten den richtigen Eintrag gefunden hatte, griff er zum Telefon, kontrollierte das aktuelle Datum und wählte. Dann begann er zu zählen. Nach dem sechsten Läuten legte er auf und wählte erneut. Diesmal ließ er es drei Mal läuten, bevor er die Verbindung unterbrach. Schließlich wählte er ein drittes Mal. Sofort nach dem ersten Läuten wurde abgehoben. »Ja?«, meldete sich eine Stimme unverbindlich.
    »Hier Phönix«, sagte Salam leise. »Ich brauche eine Auskunft.«
    Für einen Moment blieb es ruhig in der Leitung. Dann erklang die Stimme wieder. »Warten Sie einen Moment.« Es knackte, eine Verbindung wurde hergestellt, und Salam hörte jemanden atmen, doch er wartete ab.
    »Du hast dich lange nicht gemeldet.« Die sonore Bassstimme hätte einem Opernsänger gehören können. Salam musste lächeln. Bilder erschienen vor seinen Augen, wie ein Kaleidoskop aus lang vergangenen Zeiten.
    »Du dich auch nicht«, gab der Chief Inspector zurück. »Also muss ich kein schlechtes Gewissen haben, oder? Aber ich rufe nicht an, um über alte Zeiten zu plaudern. Habt ihr die Hand auf einem Helikopter, der heute oder gestern in meinem Distrikt unterwegs war? Die Flugsicherung will mir keine Auskunft geben. Mit der immer gültigen Begründung – die ach so bedrohte Staatssicherheit.«
    »Sprichst du von der zivilen in Karatschi?«, erkundigte sich der Mann überrascht. »Gib mir zehn Minuten. Ist es wichtig?«
    »Mord«, sagte Salam nur.
    »Fünf Minuten. Ist das deine Nummer im Display?«
    »Ja, ich wollte, dass du sie siehst«, antwortete der Chief. Gleich darauf klickte es in der Leitung und ein gleichmäßiges Tut-Tut-Tut ertönte.
    Chinesische Reifen, überlegte Salam, während er das Notizbuch wieder sorgsam mit dem Gummiband verschloss und in die Lade zurücklegte. Kein offiziell gemieteter Geländewagen also. Billige Reifen – ein privates Fahrzeug? Oder ein Wagen von außerhalb? Der einzige Reifenhändler im Ort war ein Halbidiot, der alles verkaufte, was Umsatz brachte. Reifen, Waffen, Opium. Das Wort Rechnung existierte in dem Laden nicht. Der würde keinen seiner Kunden kennen oder der Polizei helfen. Außerdem hatte ihn Salam im Verdacht, der islamistischen Tablighi Jamaat nahezustehen.
    Besser, er fragte ihn nicht.
    Und wo kam der deutsche Kaugummi plötzlich her, wenn es seit Wochen keine deutschen Touristen mehr im Chitral-Distrikt gegeben hatte? Den konnte der Westwind auch nicht über die Berge geweht haben. Hatte ihn ein Einheimischer von einem Touristen geschenkt bekommen, vor Wochen oder Monaten vielleicht? Und nun verloren? Dann hätten Mörder von hier den alten Mann auf dem Gewissen.
    Wenn nicht, dann war Salam am Ende seiner Weisheit.
    In diesem Moment klingelte das Telefon. Als »Unbekannt« auf dem Display erschien, ahnte der Chief, wer ihn anrief.
    »Ja«, meldete er sich. »das ging aber schnell. War die Flugsicherung bei dir mitteilsamer?«
    »Ich habe keine Ahnung, in welches Wespennest du da hineingestochen hast«, erklang die Tenorstimme, »aber wenn du etwas machst, dann wie immer gründlich. Das war schon immer so, wenn ich mich recht erinnere. Niemand von uns weiß etwas von einem außerplanmäßigen Helikopter im Grenzgebiet. Die üblichen militärischen Patrouillenflüge und zwei Transporte von Peschawar nach Khazana und nach Dir an der N45. Nun zu Karatschi und den Schweigsamen. Sie verschanzen sich hinter der ISI , und das ist mysteriös genug.«
    Die ISI – Salam hatte es geahnt. Die Inter-Services Intelligence war der größte der drei pakistanischen Geheimdienste, fest in militärischer Hand, ein Staat im Staat und ein direkter Konkurrent der MI , der Military Intelligence.
    »Und die MI weiß nichts davon?«, fragte Salam, nachdem er einen Moment überlegt hatte.
    »Nein, wir haben keine Ahnung, was da läuft, aber glaube mir, wir recherchieren«, sagte die Stimme entschlossen. »Wie wäre es mit ein paar hilfreichen Details? Wer wurde ermordet, und wie kommst du darauf, dass ein geheimnisvoller Helikopter damit zu tun hat?«
    In kurzen Worten schilderte der Chief Inspector seinen grausigen Fund in den Bergen auf dem Gebiet der Kalash und die Rolle Shah Juans in der instabilen

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