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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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ab.
    Der Nietenkopf hatte sich keinen Millimeter bewegt.
    »Falsch geraten, also doch die andere«, meinte der Kleinere der beiden und trat zur Seite. Der nächste Schlag traf die rechte Niete und sprengte den Kopf ab. Dahinter kam ein Hohlraum zum Vorschein, der einen Durchmesser von etwa drei Zentimetern hatte. Der kleinere Mann leuchtete hinein und zog dann eine große Pinzette aus seiner Brusttasche, mit der er zupackte. Ein dünner, aber langer Zylinder kam zum Vorschein, der mattsilbern im Licht der Straßenlaternen glänzte. Wortlos steckte der Mann ihn ein. Dann suchte er kurz nach dem abgesprengten Nietenkopf, während sein Partner eine kleine Tube Klebstoff aus der Tasche zog und die dickflüssige, durchsichtige Paste dünn um den Rand des Lochs verteilte.
    Als der Kopf wieder an seinem Platz war, blickten die Männer auf ihre Armbanduhren und warteten. Genau eine Minute später zog der Größere der beiden einen kleinen Tiegel mit Farbe und einen Pinsel aus seiner Tasche. Geschickt übermalte er die Spuren des Meißels. Niemand würde bei Arbeitsbeginn etwas bemerken, selbst aus nächster Nähe nicht.
    Nachdem sie die Tür der Halle wieder sorgsam verschlossen hatten, liefen sie zurück zum Eingang.
    »Setzt den Portier zurück auf seinen Sessel, die Kameras habe ich wieder eingeschaltet. Sollte jemand etwas bemerken, dann werden alle an einen kurzen Ausfall glauben«, forderte der Jogger sie auf und streckte sich. »Ich laufe dann weiter.«
     
    Als der Nachtwächter wenige Minuten später wieder zu sich kam, blickte er verwundert auf und schüttelte den Kopf. Er runzelte die Stirn, stand auf, kontrollierte die Glastür, die fest versperrt war, warf einen Blick auf die Elektronik, die mit regelmäßig flackernden grünen Leuchtdioden ihre fehlerfreie Funktion meldete, kontrollierte die Bilder auf den Monitoren und zuckte schließlich die Schultern.
    Es war ihm schon lange nicht mehr passiert, dass er im Dienst eingeschlafen war.
    Zum Glück war niemand da, der ihn beobachtet haben könnte. Peinlich, peinlich, dachte er sich und beschloss, niemandem davon zu erzählen. Der Job hier war viel zu gut bezahlt, um ihn aufs Spiel zu setzen.
    Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seinem Kreuzworträtselheft zu, das er vom Frühdienst übernommen hatte. Eines der Silbenrätsel auf der Seite war bereits gelöst. In großen Blockbuchstaben stand da ein Aphorismus: »Misstrauen kommt nie zu früh, aber oft zu spät.«

»Babylon Café«, São Gabriel da Cachoeira, Rio Negro/Brasilien
    John Finch war betrunken.
    Böse Zungen hätten behauptet, sternhagelvoll. Oder zumindest so gut wie.
    Noch war er klar genug im Kopf, um feststellen zu können, dass außer ihm noch jemand aus der Flasche Laphroaig Islay Quarter Cask Whisky getrunken haben musste.
    Aus der einen Flasche? Oder auch die anderen drei Flaschen, die nun leer vor ihm standen?
    Drei Flaschen?
    Er kratzte sich stirnrunzelnd am Kopf. Allein konnte er unmöglich drei Flaschen an einem Abend geleert haben. Vor dreißig Jahren vielleicht, ja, aber nicht heute. Selbst nicht zur Feier seines Abschieds vom Arsch der Welt, und das war São Gabriel nun einmal. Am Ufer des Rio Negro gelegen, rund achthundert Kilometer stromaufwärts von Manaus, war der kleine Ort für mehr als vier Jahre John Finchs Heimat gewesen. Der Pilot hatte mit seiner Albatross, dem legendär robusten Wasserflugzeug, die unmöglichsten Aufträge geflogen und versucht, vom Ersparten und den mageren Einnahmen zu überleben. Er hatte Abenteurer in den Urwald gebracht, Arbeiter und Manager zu den Bauxitminen, Angler zu den Fischgründen der Nebenarme des Rio Negro. Bis zu dem Tag, an dem jemand sein Flugzeug in kleine Stücke gesprengt hatte, mitsamt den Passagieren. Das lag nun fast ein halbes Jahr zurück. Aber das war eine andere Geschichte … ein Auftrag, bei dem gleich von Anfang an alles schiefgegangen war und den er nur mit knapper Not überlebt hatte.
    John Finch spürte immer noch den Zorn in sich hochsteigen, wenn er an das Bild der Leichen und der völlig zerstörten Albatross dachte.
    »Roberto, du verschlafener Fuselverwalter«, Finch winkte den Barkeeper zu sich, »wie viele Löcher hast du in meine Whisky-Flaschen gebohrt, während ich nicht hingeschaut habe?«
    Der Barkeeper wischte weiterhin seelenruhig mit einem speckigen Lappen die Gläser ab, während er John Finch mit einem nachsichtigen, ein wenig herablassenden Ausdruck anschaute.
    »Du solltest wissen, wann du Lokalrunden

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