Heiß
anderen. War seine Vorsicht nicht fast krankhaft gewesen? Eine übertriebene Geheimniskrämerei angesichts der unglaublichen Entdeckung, die der Zufall ihm in die Hand gespielt hatte? Oder hatte er im Grunde seines Herzens die wirre Erzählung des alten Mannes, der ihn in die Bibliothek geschickt hatte, doch nicht recht geglaubt? Wie sollte man auch eine Fata Morgana, das Ergebnis einer überhitzten Fantasie, rational erklären?
Nach anfänglichen Zweifeln hatte bei Assaid die Neugier gesiegt, und er war der vorgezeichneten Spur gefolgt. Oder war es die Gier gewesen, die ihn getrieben hatte? Alles war eigentlich ganz einfach gewesen.
Zu einfach, wie sich jetzt herausstellte.
Der Geschichtenerzähler auf dem Marktplatz der alten Karawanenstadt Atar, eine zusammengesunkene Figur in einem fleckigen hellblauen Burnus, hatte es gewusst. Er hatte ihm tief in die Augen gesehen, als Assaid vor zwei Tagen am Ende seiner Erzählung aufgestanden war und sich bedankt hatte. Es war ihm vorgekommen, als könne der unrasierte Alte mit dem stechenden Blick bis tief in seine Seele schauen, als er den Zeigefinger gehoben und nur gemeint hatte: »Le sable mange tout!«
Dass der Sand alles auffrisst, das bekam Assaid nun am eigenen Leib zu spüren. Der Alte hatte seine Zukunft gesehen – und sein Ende.
Doch noch war es nicht so weit, und er stieg weiter in die Tiefe. Der erste Skorpion zerplatzte unter den Sohlen seiner Stiefel mit einem ekligen Geräusch, dann der nächste. Der Ägypter stolperte nach unten. Wie in einem Kaleidoskop zogen an den Wänden links und rechts von ihm seltsame Malereien vorbei, eine Abfolge von Wandbildern, über deren Alter und Entstehung der Abenteurer nur spekulieren konnte. Sie sahen völlig anders aus als die Höhlenmalereien im Tassili n’Ajjer im Herzen der Sahara, die er im letzten Jahr besucht hatte. Diese hier stammten definitiv aus einer anderen Epoche.
Bei jedem Schritt tiefer in den Fels hinein änderte sich auch der Stil der Malereien, bis sie schließlich ganz aufhörten. Die Steinstufen waren einem ungleichmäßigen Boden aus Fels, Sand und Steinen gewichen, der sanft, aber stetig bergab führte. Der Tunnel, dem Assaid nun gebückt folgte, war niedrig und schmal. Stellenweise schien er von Menschenhand geschaffen, aus dem rohen Fels geschlagen, dann wieder führte er streckenweise durch höhlenartige, unregelmäßige Hohlräume, wand sich durch den Untergrund wie ein ausgetrockneter Bachlauf.
Und dann war er mit einem Mal zu Ende.
Assaid stand keuchend vor einem rötlichen Felsen, der die gesamte Breite des Ganges einnahm.
Kein Weg führte daran vorbei.
Der schmale Tunnel endete in einer Sackgasse. Frustriert schlug der junge Ägypter mit der Faust gegen den Stein, drehte sich um und eilte zurück. Hatte er den falschen Abgang gewählt? War der Weg auf der rechten Seite des Sarkophags der ›rechte Weg‹ und der andere führte Grabräuber und unerwünschte Eindringlinge ins Verderben? Gab es eine Abzweigung, die er übersehen hatte?
Assaid fluchte, während er die Flamme der kleinen geteerten Fackel in seiner Hand beobachtete, die immer schwächer wurde. Er hastete zurück. Kein einziger Gang zweigte ab, da war nichts als massiver Fels. Dann kam er zurück zu den Wandbildern, die Malereien schienen im flackernden Licht zum Leben zu erwachen. Primitiv gemalte Kühe grasten, Giraffen hatten ihre Köpfe in Bäumen, Menschen mit runden Köpfen ritten auf Kamelen. Dann erkannte Assaid die ersten Übermalungen. Seltsame Kopfbedeckungen … Er wandte sich ab und hastete weiter. Die Stufen mussten bald beginnen.
Doch an die Stelle der massiven, in den Stein geschlagenen Stufen war eine schräge Wand aus Sand und Schotter getreten, der unaufhörlich nachrieselte.
Dann erlosch die Fackel, und Assaid schaltete mit fiebrig-tastenden Fingern die Stirnlampe ein. Im gelben matten Licht der kleinen Glühbirne sah er, wie sich überall Skorpione aus dem Sand hervorwühlten.
Es war, als schien sie der Sand auszuspeien. In Strömen bewegten sie sich langsam auf ihn zu, ein schwarzer Teppich aus dünnen Beinen und kampfbereit erhobenen Stacheln.
Assaid drehte sich um und rannte los.
Zwei Stunden später waren die Batterien seiner Stirnlampe leer, und das letzte Licht erlosch. Undurchdringliche Schwärze umgab ihn. Es war totenstill, selbst das Zischen des rieselnden Sandes war verklungen. Nur noch die Leuchtziffern seiner Armbanduhr waren Assaid geblieben. Am Ende des Ganges, am Fuße des
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