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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Beziehungen auf Jahre hinaus belastet hätte, wäre er jemals bekannt geworden. Bevor der Major wieder heimgeflogen war, hatte ihn die Botschaft zur Tarnung noch auf diesen Kongress in der Hofburg geschickt, an dem Polizeichefs aus aller Herren Länder teilnahmen. Der Anrufer wusste offenbar über seinen Einsatz Bescheid, und das beunruhigte Llewellyn ein wenig. Er konnte sich nämlich nicht erinnern, dass er bei einem der abendlichen Diners jemanden ins Vertrauen gezogen hatte.
    Außer …
    Der Major stieß die Haustür auf und blickte sich gewohnheitsmäßig rasch um. Die Vorstellungen der Theater hatten bereits begonnen, und die Kolonnen von Taxis waren wieder verschwunden. Gruppen von jungen Nachtschwärmern auf dem Weg in die Restaurants auf dem Leicester Square oder in Soho schoben sich ohne Eile über den Bürgersteig. Llewellyn bog nach links und sprintete los.
    Wien – aus den Tiefen seiner Erinnerung tauchten Gesichter auf. Nach einigen Tagen mit Konferenzen und Vorträgen war ein harter Kern übrig geblieben, der sich jeden Abend nach den Vorträgen getroffen hatte und um die Häuser gezogen war, zum Heurigen und in die Eden-Bar.
    Die Telefonzellen waren beide belegt!
    Llewellyn fluchte und blickte auf die Uhr. Noch eine Minute …
    Zwei junge Mädchen, der Sprache nach aus Skandinavien, telefonierten in einer der roten Kabinen offenbar nach Hause. Vor ihnen auf der Ablage häuften sich zwei Münzstapel. Das würde länger dauern, sagte sich Llewellyn frustriert und wandte sich der zweiten Zelle zu. Da sprach eine japanische Touristin aufgeregt ins Telefon und wedelte dabei mit einem Stadtplan.
    Noch dreißig Sekunden …
    Llewellyn versuchte durch das Glas die Rufnummer des öffentlichen Apparats zu entziffern, aber es gelang ihm nicht. Der Stadtplan wirbelte unentwegt vor seinen Augen herum.
    Nach einem letzten Blick auf die Uhr riss der Major die Tür auf, nahm mit den Worten »tut mir leid, ein Notfall« der völlig entgeisterten Japanerin den Hörer aus der Hand, knallte ihn auf die Gabel und schob die knochige Asiatin unsanft ins Freie. Dann zog er die Tür zu und versuchte die lauten Protestschreie und die wütenden Tritte gegen die Telefonzelle zu ignorieren.
    In diesem Moment läutete sein Handy.
    »Schreiben Sie mit«, sagte Llewellyn, ohne seinen Gesprächspartner überhaupt zu Wort kommen zu lassen. » 316 45 34 mit der Vorwahl 0044 für Großbritannien und 171 für London.« Dann beendete er das Gespräch.
    Die japanische Touristin tobte noch immer vor der Tür, und der Major war kurz davor, ihr den Stadtplan aus der Hand zu reißen und zum Anlass eines unanständigen Vorschlags zu nehmen. Glücklicherweise rettete das Läuten des Apparats in der Telefonzelle die Japanerin vor Schlimmerem.
    »Llewellyn«, meldete sich der Major, diesmal leicht gereizt, »und ich hoffe, Sie haben genügend Kleingeld in der Tasche. Weil ich nämlich die ganze Geschichte hören möchte.«
    »Danke für Ihre Hilfe, Major Llewellyn«, sagte sein Gesprächspartner. »Hier spricht Phönix, und bitte glauben Sie mir, die Münzen sind im Moment mein geringstes Problem.«
    »Phönix …«, raunte Llewellyn überrascht, und das Prickeln in den Fingerspitzen nahm zu. »Der Flug des Phönix ist lange her. Sie haben mir in Wien erzählt …«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn Salam, »ja, ich weiß. Alles hat sich geändert. Leider.« Er verstummte für einen Moment. »Heute Morgen wurde meine gesamte Familie umgebracht, mit Raketenwerfern. Nur meine Frau war nicht zu Hause. Seitdem bin ich untergetaucht und renne um mein Leben.«
    »Mein Gott!« Llewellyn fehlten die Worte. Er blickte starr auf den Eingang des Theatre Royal und sah ihn doch nicht. Mit seinen Gedanken war er weit fort, in den Bergen von Pakistan, im Land der Schneeleoparden, das für einige Monate auch sein Zuhause gewesen war.
    Vor vielen Jahren …
    »Wissen Sie noch, wie man die Schneeleoparden nennt, Major? Die Geister des Hindukusch.«
    Konnte Phönix Gedanken lesen? Llewellyn schwieg beunruhigt und wartete. Er fühlte sich hilflos, und dieses Gefühl hasste er.
    »Ich habe sie geweckt, Llewellyn«, flüsterte Salam so leise, dass der Mann in der Telefonzelle in London ihn kaum verstehen konnte. »Und jetzt hetzen sie mich zu Tode.«

Wallenbergstraße 6 , Berlin-Wilmersdorf/Deutschland
    »Lass stecken, Justav, ick wollte dir jerade anrufen.« Calis lächelte und hielt die Hände demonstrativ weit weg von jeder Tasche, deren Inhalt den Besitzer des

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