Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
Vom Netzwerk:
war Llewellyn gewesen, der den Familien die schlechte Nachricht überbracht und dafür gesorgt hatte, dass MI 5 und MI 6 am Ende nicht nur einen symbolischen Betrag an die Hinterbliebenen auszahlten.
    Das Fiasko in Südamerika, die selbstgefälligen Fehleinschätzungen der Experten an der Heimatfront und ihr nonchalanter Umgang mit Menschenleben lagen ihm noch immer im Magen. Das Abenteuer um das Schweizer Bankenkonsortium und das Erbe der vier alten Männer hatte jedoch in Llewellyns Augen immerhin etwas Positives gebracht: Er hatte John Finch kennen- und schätzen gelernt, den Piloten aus Peterborough, der wie er durch die Welt zigeunerte und keiner Herausforderung aus dem Wege ging. Sie waren vielleicht aus verschiedenem Holz geschnitzt, aber aus demselben Baum.
    Und sie waren Freunde geworden.
    Ob Finch bereits in Ägypten war?, fragte sich Llewellyn, und leerte sein Glas. Er nahm sich vor, ihn anzurufen. War nicht gerade der Frühling die ideale Zeit für eine Reise in den Süden?
    »Was aber noch immer nicht die Frage des Abendessens beantwortet«, stellte der Major seufzend fest, legte drei Scheite ins Feuer und spendierte sich noch eine Runde Bombay Sapphire als Entscheidungshilfe. Gerade als er das Fenster schließen und sich umziehen gehen wollte, hörte er sein Mobiltelefon läuten. Nach dem Prinzip »je weniger Spuren man hinterließ, umso ruhiger lebt man«, hatte sich Llewellyn nie einen Festnetzanschluss für seine Londoner Wohnung aufschwatzen lassen. Dafür war seine Mobilnummer seit mehr als fünfzehn Jahren immer noch dieselbe, und der Major überlegte jedes Mal sehr genau, wem er sie gab. Deshalb war er auch überrascht, als er weder mit der angezeigten Vorwahl – 0092 – noch mit der Rufnummer auf dem Display irgendetwas anfangen konnte.
    »Ja?«, meldete er sich deshalb unverbindlich und war überzeugt, dass sich jemand verwählt hatte. Danach würde er endlich abendessen gehen.
    »Wir haben uns lange nicht mehr gesehen«, begann sein Gesprächspartner vorsichtig, und seine Stimme ging im Rauschen der Fernverbindung fast unter. »Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern, aber ich habe vor fünf Jahren an einem Polizeikongress in Wien teilgenommen, und Sie waren damals an der Britischen Botschaft in Österreich … im Rahmen eines Sondereinsatzes …«
    Llewellyn spürte die Anspannung in der Stimme des Anrufers, und er schätzte dessen Umsicht, keine Namen am Telefon zu nennen. Wo zum Teufel war 0092 , überlegte er fieberhaft? Afrika? Asien?
    »Ich nehme an, dass Sie mich nicht heute Abend zum Essen begleiten könnten«, gab Llewellyn vorsichtig zurück, »weil Sie etwas weiter entfernt von dieser Insel zu Hause sind. Habe ich recht?«
    »Fast auf der anderen Seite der Welt«, tönte es aus dem Lautsprecher. »Ich rufe Sie von einem Münzfernsprecher an, weil ich keine sicherere Leitung zur Verfügung habe.«
    »Dann sollten wir schnell eine Lösung finden. Wie spät ist es bei Ihnen?«, wollte Llewellyn wissen und schlüpfte in seine Lederjacke.
    »Kurz nach Mitternacht«, kam die rasche Antwort.
    Also Asien, dachte der Major. »Kann ich Sie irgendwo zurückrufen?«
    Der Anrufer überlegte kurz. »Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch frei bewegen kann«, sagte er schließlich, »und ich will Sie nicht kompromittieren. Es sind schon zu viele Menschen meinetwegen gestorben.« Die Stimme brach ab, und Llewellyn hörte ein leises Räuspern. Er spürte ein Prickeln in den Fingerspitzen, und seine Gedanken überschlugen sich. Woher jetzt eine sichere Leitung nehmen? Der Major machte sich nicht so sehr Sorgen um seine eigene Sicherheit als um die des Mannes auf der anderen Seite der Erde.
    »Warten Sie fünf Minuten und dann rufen Sie mich wieder zurück«, entschied Llewellyn schließlich. »Vor meinem Haus stehen zwei Telefonzellen. Ich gebe Ihnen die Nummer, dann können Sie mich da erreichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand mithört, geht erfahrungsgemäß gegen Null.«
    »Bis gleich dann«, sagte der Mann und legte auf. Wenige Augenblicke später war der Major schon zur Tür raus und lief zum Lift.
    Besetzt.
    Also wandte er sich nach rechts, stürmte die breiten Treppen hinunter, nahm immer zwei Stufen auf einmal.
    Woher kannte ihn der Mann aus Asien? Ah ja, der Polizeikongress in Wien! Llewellyn verzog das Gesicht. Der Secret Service hatte ihn damals nach Wien geholt, kurz nach seiner Pensionierung, um einen missglückten Einsatz zu vertuschen, der die österreichisch-britischen

Weitere Kostenlose Bücher