Heiß
Als er sich an Calis festhielt, merkte der Kommissar, wie sehr seine Hände zitterten.
»Genauer«, sagte Calis und zog einen Hunderteuroschein aus der Tasche.
Gustav riss die Augen auf, sah zuerst die Banknote und dann Calis verächtlich an. »Wollen Se een jeblasen bekommen oder wat von mir wissen?«
»Willst du heute Abend hier schlafen oder auf Entzug in die Ausnüchterungszelle?«, konterte der Kommissar.
Gustav zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ooch nicht schlechter als bei Muttern. Bin schon lang nich mehr einjefahren. Ick gloob, ick geh jetzt ’ne Runde pennen.« Er stieß sich von Calis ab und stolperte los.
Der Kommissar hatte mit einem Mal Mitleid. »Gustav!«, rief er, und irgendetwas in seiner Stimme schien den gebrechlichen, dünnen Mann aufzuhalten, als sei er gegen eine Wand gelaufen. »Wenn du noch mal einsitzt, kommst du nicht mehr raus«, meinte Calis sanft, »und das weißt du. Ich kann dich in eine Klinik einweisen lassen, aber das hatten wir schon mal. Sobald es dir besser geht, bist du auf und davon.«
Gustav stand da, schwankte wie ein Baum im Wind und ließ die Schultern hängen.
»Wie viel willst du? Ich brauch’ deine Hilfe, sonst sind die über alle Berge, bevor wir auch nur einen Fuß auf den Boden bekommen. Das waren Profis, und das weißt du. Keine Verbindung zum Opfer, keine Gefühle, ein Auftragsmord. Was haben die bei Siemens gesucht?«
Gustav antwortete nicht, stand noch immer mitten auf der kleinen Wiese. In der Ferne verbellte Attila einen Passanten.
»Ick brauch’ Ihre Kröten nich, det letzte Hemd hat keene Taschen«, wehrte Gustav ab und drehte sich langsam um. »Ick mach’s nich mehr lange, det spür’ ick. Dann werden Se sich ’nen anderen suchen müssen. Aber ick mag Se, auch wenn Se schwul sind.« Er grinste spitzbübisch. Dann rannen plötzlich Tränen über seine Wange. »Jehn Se hinter mir her, draußen in Stahnsdorf, wenn se mir einjraben? Ick will nich janz alleene sein …«
Calis nickte stumm. »Versprochen«, sagte er dann leise.
»Die hatten’s eilig, verdammt eilig«, begann Gustav, »und Geld spielte keene Rolle. Es musste nur schnell jehen.« Er wischte sich mit den Handrücken die Tränen vom Gesicht. »Aber es is nich so leicht, auf Druck drei Profis vor Ort zu heuern, die es drauf haben und jerade nich einsitzen. Wer viel Geld ins Wasser wirft, macht große Wellen.«
»Wann war das?«, erkundigte sich Calis vorsichtig.
»Vor vier oder fünf Tagen, so jenau weeß ick det ooch nich«, antwortete Gustav. »Der Auftrag kam ausn Westen, aus Frankfurt gloob ick, aber dafür leg ich nich meine Hand ins Feuer. Viele reden viel, wenn es um ’ne halbe Mille jeht.«
Calis pfiff durch die Zähne. »Und?«
Gustav schüttelte den Kopf. »Wer konnte, wollte nich und wer wollte, konnte nich. Also brachten se Jungs von außerhalb. So hört man jedenfalls.«
»Geht das ein wenig konkreter?«, wollte Calis wissen.
»Dann wär’ ick bei der Bullerei«, ätzte Gustav, »mit Pensionsberechtigung und Frühstück beim Innensenator.«
»Kannst du dich umhören? Wäre echt hilfreich.« Der Kommissar gähnte und schaute auf die Uhr. »Ich ruf dich morgen früh an. Streck deine Fühler aus und sei vorsichtig. Wer eine halbe Million hat, der hat auch was zu verlieren.«
Gustav wandte sich um und ging einfach davon. Calis war nicht einmal sicher, ob er seinen letzten Satz überhaupt gehört hatte. Er stand nur da und sah dem schwankenden kleinen Mann nach.
In diesem Augenblick kam Attila angerannt, bremste, schnüffelte kurz an Gustav und trottete dann einträchtig neben ihm her. Als beide in der langgestreckten Hütte verschwanden, gingen auf der Straße vor dem Zaun die Gaslaternen an.
Ihr gelbes Licht hatte etwas Versöhnliches.
Charlotte Road, Barnes, Südwest-London/England
Llewellyn sprang aus dem Taxi und bedeutete dem Fahrer mit einer Handbewegung, das Wechselgeld zu behalten. Er hatte das Gefühl, dass die Zeit ihm zwischen den Fingern zerrann, nachdem er mit Phönix gesprochen hatte. Mit halbem Ohr hörte er den Wagen wenden und den zufriedenen Fahrer durchs offene Fenster rufen: »Haben Sie noch einen schönen Abend, Sir!«, dann verklang der Motorlärm, und es war still in der schmalen Gasse im Südwesten Londons. Hier reihten sich weiße Einfamilienhäuser aneinander, mit handtuchgroßen Vorgärten und manikürtem Rasen, auf dem die ersten gelben Narzissen und Tulpen sprossen.
Die Charlotte Road war eine Sackgasse, die am Hockeyfeld
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