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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Türen waren verschlossen. Calis zögerte, blieb kurz stehen und spielte mit dem Gedanken, seinen Besuch doch besser durch einen Anruf anzukündigen. Er griff in die Jackentasche und suchte nach seinem Handy, als sich der Lauf einer Waffe schmerzhaft in seine Seite bohrte und jemand in sein Ohr raunte: »Woll’n Se Jott sei Dank schon jehn, oder bleiben Se leider Jottes noch een bissken?«

Haymarket, City of Westminster, London/England
    Die Fenster der kleinen Wohnung im letzten Stock des gepflegten Altbaus an der Ecke Charles II Street und Haymarket schauten direkt auf das ehrwürdige Theatre Royal. Zwischen den effektvoll beleuchteten Säulen des Haupteingangs, der einem griechischen Tempel nachempfunden war, drängten sich Trauben von Besuchern in Abendgarderobe.
One Man, Two Guvnors
stand auf dem Programm des dreihundert Jahre alten Theaters, und nachdem die lokale Presse einmütig die Inszenierung in den Himmel gelobt hatte, waren die Ausstellungen auf Wochen hinaus ausverkauft.
    Der massige, muskulöse Mann mit den militärisch kurz geschnittenen grauen Haaren blickte nachdenklich auf die vielen Taxis hinunter, die einen ständigen Nachschub an Nachtschwärmern in Londons West End brachten. Haymarket, einst ein Markt und in Viktorianischer Zeit einer der bekanntesten Straßenstriche in Englands Hauptstadt, war heute eine der besten Adressen in der City.
    Doch das hatte Major Llewellyn nicht bewogen, hier einzuziehen. Von seinem Gehalt jedenfalls hätte er sich selbst die zwei Zimmer mit Küche und Bad kaum leisten können. Die konspirative Wohnung, in den siebziger und achtziger Jahren ein Treffpunkt von Informanten und Geheimagenten des britischen Secret Service, war einmal zu oft benutzt worden und schließlich bei einer gemeinsamen Aktion mit der Schweizer Untergrundarmee P 26 vor vier Jahren aufgeflogen. Als Llewellyn etwa zur gleichen Zeit den Dienst quittierte und sich ins Privatleben zurückzog, bot man ihm die Wohnung als eine Art Abschiedsprämie an. Nach kurzer Überlegung ließ der Major die Schlösser auswechseln, installierte eine Alarmanlage, die er nie einschaltete, und zog ein. Seitdem wohnte er im Herzen Londons und bereute keinen einzigen Tag davon. Die Stadtflucht auf die schottischen Hebriden, die er noch vor zehn Jahren geplant hatte, war in weite Ferne gerückt. Schafe, Heidekraut und Torf würden noch ein wenig warten müssen. Das raue Klima würde sie frisch halten.
    Llewellyn hörte die Holzscheite im offenen Kamin knistern und wandte sich um. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er bei seinem Lieblings-Thailänder Busaba in der Panton Street zu Abend essen, oder lieber mit Eiern und Speck vorliebnehmen sollte.
    »Schieben wir diese wichtige Entscheidung noch ein wenig auf und denken wir bei einem Glas Bombay Sapphire ausgiebig darüber nach«, murmelte er schmunzelnd und schenkte sich eine großzügige Portion Gin ein, bevor er sich in den alten, bequemen Ledersessel fallen ließ und seine Füße zum Feuer streckte. Er fragte sich, ob der Sessel, den er eines Abends knapp vor der Sperrstunde auf dem Flohmarkt nahe Camden Lock gefunden hatte, nicht doch vielleicht im Reform Club von Phileas Fogg gestanden hatte …
    Der Gedanke gefiel dem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter, der Zeit seines Lebens unterwegs gewesen war, auf Einsätzen für das British Empire rund um den Globus. Erst letztes Jahr hatte ihn ein Auftrag nach Kolumbien geführt, dann in die Schweiz und nach Norditalien. Die Pension, von der alle seine Kollegen immer geschwärmt hatten, war in seinem Fall eher ein Unruhestand.
    Llewellyns eisgraue Augen, die stets etwas skeptisch in die Welt blickten, fixierten nun die Flammen im Kamin. Er hatte Regierungen kommen und gehen sehen, Geheimdienstchefs und Kabinette, Skandale und Spione. In all den Jahrzehnten seiner aktiven Laufbahn für Königin und Vaterland hatte der Major nach dem Motto »alles geht vorüber« vor allem auf eins gehört, wenn es wieder einmal auf Messers Schneide stand: auf seine innere Stimme. Viele hatten ihn für einen Querdenker gehalten, der nur zu oft mit dem Kopf durch die Wand wollte. Wenige hatten ihn gemocht, die meisten gefürchtet und einige sogar gehasst, was Llewellyn allerdings nicht wirklich beeindruckt hatte. Erst letztes Jahr war er der Downing Street 10 auf die Füße gestiegen, nachdem er drei seiner besten Männer verloren hatte, die trotz ihres Alters reaktiviert und nach Kolumbien ins feindliche Feuer geschickt worden waren. Es

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