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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Abschrift anfertigen lassen. Nehmen Sie zum Beispiel die alte, historische Bibliothek von Alexandria, die unweit von hier stand. Sie war die bedeutendste und größte Bibliothek des klassischen Altertums, wurde im dritten Jahrhundert vor Christus gegründet und soll angeblich siebenhunderttausend Schriftrollen besessen haben. Eine unvergleichliche Masse an Information für die damalige Zeit. Als die Sammlungen durch Kampfhandlungen sechshundert Jahre später fast vollständig zerstört wurden, löste sich mit ihnen das Wissen von Generationen in Rauch auf. Die letzten Manuskripte schließlich gingen wahrscheinlich während der Islamisierung Ägyptens verloren, das Bauwerk selbst wurde dem Erdboden gleichgemacht. Es blieben nicht einmal archäologische Zeugnisse erhalten.«
    Amina Mokhtar verstummte, als der Kellner an den Tisch kam und zwei Espressi brachte. Dann fuhr sie fort.
    »Manuskripte waren stets begehrt, manche wurden sogar mit Gold aufgewogen. Jeder mitteleuropäische Herrscher, der etwas auf sich hielt, hatte an seinem Hof eine Bibliothek. In der Zeit der Aufklärung, als die Wissenschaften eine wahre Blüte erlebten und überall Akademien gegründet wurden, begann eine gezielte Suche, fast kann man schon sagen, eine Jagd nach Handschriften. Wissenschaftliche Disziplinen wurden neu organisiert, Sammlungen gegründet, Unterlagen gehortet. Damals bestimmte Frankreich den Lebensstil, hatte die Führung in Kunst und Literatur übernommen. So schlug in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts in Frankreich auch die Geburtsstunde wirklich wissenschaftlicher Geschichtsforschung.«
    Sie lächelte Finch zu. »Ich hoffe, ich langweile Sie nicht, aber ich verspreche Ihnen, es wird gleich interessanter. Vor allem die Jesuiten und die Benediktiner in Frankreich begannen, Quellen systematisch zu sammeln und so etwas wie eine Zentralbibliothek in Saint-Germain-des-Prés einzurichten. Dorthin schafften sie möglichst viel Material aus den alten Klöstern ihres Ordens, die wiederum Handschriften in ihrem unmittelbaren Umfeld gesammelt hatten. So konzentrierten sie ihr Wissen in Paris. Weil bereits damals Wissen Macht bedeutete, dauerte es nicht lange, bis der wohl wichtigste Minister Frankreichs sich für die Sammlung interessierte: Jean-Baptiste Colbert, seinerseits bekanntester Büchersammler des siebzehnten Jahrhunderts und ehemaliger privater Vermögensverwalter von Kardinal Mazarin, stieg unter Ludwig XIV . zum mächtigsten und einflussreichsten Mann Frankreichs auf. Er war Minister für Finanzen, Handel, Verkehr, Marine, die Kolonien und die Kunst in Personalunion. Eine unglaubliche Machtkonzentration. Er war es auch, der die naturwissenschaftliche Königliche Akademie der Wissenschaften gründete und aus seiner Privatschatulle den Ankauf ganzer Handschriftensammlungen finanzierte. Agenten bereisten für ihn planmäßig die Provinzen und erwarben, was sie nur finden konnten. Vertrauensmänner in ganz Europa besorgten ihm Handschriften und Urkunden, und – falls die Originale unverkäuflich waren – Kopien der gesuchten Stücke. Mit ihren fünfzehntausend Handschriften und fünfzigtausend Drucken übertraf seine Bibliothek bald die des Königs.«
    »Der darüber nicht besonders glücklich war?«, wollte Finch schmunzelnd wissen.
    »Colbert war geschickt«, antwortete Dr. Mokhtar und nippte an ihrem Espresso, »und vermehrte auch dort die Bücher- und Handschriftenbestände. Er beauftragte die diplomatischen Vertreter Frankreichs im Ausland mit dem Ankauf, schickte Missionen in den Orient und rüstete sie mit den nötigen Geldmitteln aus, er war ja auch Finanzminister. Bei Staatsbesuchen deutete man diplomatisch an, welche Gastgeschenke man gern erhalten würde – seltene Manuskripte. So setzte ein steter Zustrom von Dokumenten aus Vorderasien, aus Indien und China ein. Nach Colberts Tod wurden seine Bücher versteigert, doch die einzigartige Handschriftensammlung wurde der königlichen Bibliothek einverleibt. Mit Recht galt sie zu Beginn der Französischen Revolution als größte und reichste Bücher- und Handschriftensammlung der Welt. Rechnen Sie jetzt noch die Bibliothek der Sorbonne dazu, die kirchlichen Bestände, die zahlreichen kleineren und größeren Privatsammlungen in Paris und der Provinz, dann können Sie sich vorstellen, wie unglaublich groß die Zahl der handgeschriebenen Dokumente in Frankreich war und immer noch ist. Nicht zuletzt deshalb wurden zur Eröffnung der neuen Bibliotheca

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