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Heiß

Heiß

Titel: Heiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Lichtung zu schweben, und Salam kam sich etwas weniger einsam vor.
    Als er vor dem von unzähligen tiefen Axthieben getroffenen Holzblock stand, schaute er abermals ratlos auf die begonnene Skulptur, die nun ein unkenntliches Stück Holz war. Was war daran so wichtig gewesen, dass die Angreifer es nicht unversehrt zurücklassen wollten? Warum hatten sie es dann nicht ebenfalls angezündet? War es zu groß gewesen, um in der kurzen Zeit Feuer zu fangen, oder hatte der Brandbeschleuniger nicht ausgereicht?
    Salam seufzte. Aus seiner Brusttasche zog er das kleine weiße Stoffstück mit der Skizze des Holzblocks und der mystischen Zeichnung des Beschützers, ging in die Hocke und legte es auf einen flachen Stein, strich es glatt. Im Schein des Halbmondes, der nun endgültig über der Bergkette aufgegangen war, schien der Stoff zu leuchten.
    »Der Beschützer«, murmelte Salam und setzte sich neben den Stein auf den harten Boden. Er blickte über das Tal und schmeckte die kühle Luft. Irgendwo schrie eine Eule. »Stehst du allen bei, die in Not sind? Dann könntest du sofort bei mir anfangen. Meine Welt ist gerade dabei unterzugehen. Meine Familie ist tot, meine Freunde sind in Gefahr, ich bin auf der Flucht, und die Schneeleoparden jagen mich. Spielt es da eine Rolle, ob ich Kalash bin oder nicht?«
    »Der tiefe Glaube spielt eine Rolle, sonst nichts«, antwortete hinter ihm eine Stimme aus der Dunkelheit, und Salam zuckte zusammen. Erschreckt blickte er sich um und sah eine schmale Gestalt in wenigen Metern Entfernung, die in einen weiten schwarzen Umhang gehüllt war, der auch die Haare verbarg. Lautlos kam der Schatten näher.
    Der Chief Inspector wollte aufspringen, doch die Stimme meinte beruhigend: »Bleiben sie sitzen, Chief. Sie sind doch Shabbir Salam aus Chitral, der Polizeikommandant? Die Frauen haben über Sie gesprochen.«
    Salam nickte erstaunt, während die Gestalt ihren Umhang zusammenraffte und sich neben ihm niederließ. Ein Geruch von Minze wehte zu ihm herüber, als eine alte, knochige Hand zwischen den Falten des Umhangs erschien, den kleinen Stofffetzen mit der Zeichnung vom Stein nahm und aufmerksam betrachtete.
    »Und wer sind Sie?«, erkundigte sich Salam neugierig.
    »Ein Geist zwischen Leben und Tod, eine der Dorfältesten. Ich werde Juan bald folgen, dahin, wo er nun ist. Ich spreche seit zwei Tagen hier mit ihm.«
    Ihre Stimme raschelte wie der Wind in den Zweigen, und als sie den Umhang vom Kopf abstreifte, kam ein hageres, tief zerfurchtes Gesicht zum Vorschein, mit eingefallenen Wangen und einem spitzen Kinn. Salam glaubte, sich verhört zu haben. Sie sprach seit zwei Tagen mit dem Toten? Er schloss erschöpft die Augen. Ausgerechnet jetzt begegnete er einer verwirrten Alten.
    »Ich weiß, was Sie denken«, sagte sie nachsichtig lächelnd. »Sie sind kein Kalash.« Als ihre leuchtend blauen Augen sich auf Salam richteten, schien es ihm, als blickten sie tief in sein Innerstes hinein.
    »Juan ist noch immer hier bei uns«, raunte sie, »Sie sollten nicht um ihn trauern, ganz im Gegenteil. Er ist unsterblich.« Sie wies auf die vielen stummen hölzernen Wächter, die sie umringten. »Nicht nur deshalb. Sondern weil unsere Sitten den Reichen vorschreiben, ihren Besitz freigiebig zu verteilen. Juan hat immer mit beiden Händen gegeben, zum Wohlergehen der Gemeinschaft beigetragen, verschwenderische Feste zu Ehren der Götter gefeiert, zu denen alle eingeladen waren. In unserem Glauben hat er damit die Unsterblichkeit erlangt. Er kann als einer unserer Ahnen über den Tod hinaus teilhaben am Leben unseres Volkes. Deshalb ist er hier. Er sieht uns, und wenn Sie genau zuhören, dann können Sie ihn sprechen hören.«
    Sie sprach mit einer solch tiefen Überzeugung, dass Salam versucht war, sich umzusehen, ob Juan nicht im Eingang der Hütte stand, wie so oft, und ihm zuwinkte.
    »Nein, ich bin kein Kalash. Aber Shah Juan hat mir an manchen Abenden über euer Volk erzählt«, antwortete er leise. »Doch vieles verschwieg er auch.«
    »Das liegt in unserer Tradition, und die ist uns heilig«, sagte die alte Frau leise. »Wer zu viel verrät, der verurteilt unsere Kultur zum Tod. Ohne die Geheimnisse, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, gehen wir unter, verlieren uns wie ein Wassertropfen im Meer.« Sie blickte hinauf zu den Gipfeln. »Ich würde es gerne einmal sehen, das Meer.«
    Die Eule schrie wieder, und die Alte lächelte. Dann wandte sie sich an Salam. »Aber was hat Sie

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