Heiß
Angriff auf die Götter. Und ihre Rache trifft nicht den einzelnen Verursacher, sondern alle, die daran teilnehmen. Die Sieger, aber auch die Verlierer.«
Die Alte drehte sich um und ging voran, sicheren Fußes, fand mühelos den schmalen Pfad, der ins Tal führte, und begann mit dem Abstieg. Nach den ersten Metern wandte sie sich plötzlich um, und Salam wäre fast in sie hineingerannt. Sie beugte sich zu ihm und raunte in sein Ohr:
»Und glaube mir, Shabbir Salam, die Rache der Götter ist furchtbar. Du wirst es erleben.«
Polizeipräsidium, Adickesallee 70 , Frankfurt am Main/Deutschland
Nach drei Staus und einem Tankstopp war es fast siebzehn Uhr, als Thomas Calis von der A 5 die Hochhäuser der Frankfurter Skyline vor sich auftauchen sah. Der Verkehr rollte auf drei Spuren in beiden Richtungen kompakt, und es hatte begonnen zu regnen. Der Scheibenwischer des Golfs schrammte über die Frontscheibe, zerteilte die zerquetschten Insekten zu einem Matsch, der sich wie ein Schmierfilm über das Glas legte.
Rushhour im Rhein-Main-Gebiet.
Täglicher Ausnahmezustand.
»Das Glück ist am Ende nur dem Tüchtigen hold«, lästerte Calis und zog eine Grimasse, als er die scheinbar endlosen Kolonnen von Fahrzeugen beobachtete, die sich in Schrittgeschwindigkeit die letzten Kilometer zu den Ausfahrten quälten. »Das ist glatt gelogen. Heute geht alles schief.«
Wenigstens konnte er einen der Staus, die im Rundfunk immer mit »zähfließender Verkehr« umschrieben wurden, dazu nutzen, die Navigation zu programmieren. Keinen Augenblick zu früh, weil ihm die unbeteiligte Stimme der kühlen Blonden dazu riet, am nächsten Autobahnkreuz auf die A66 in Richtung Stadt abzubiegen.
»Halten Sie sich rechts!«
Doch das war gar nicht so einfach, wie es sich die Navi-Tussi vorstellte. Ein Hupkonzert und einige gezeigte Vögel später hatte es Calis geschafft, sich in die richtige Spur einzuordnen und atmete auf, als er auf die A 66 aufgefahren war und eine relativ freie Autobahn in Richtung Innenstadt vor sich liegen sah.
Der Regen hatte sich in einen Wolkenbruch verwandelt, und die Scheibenwischer des Golfs waren kurz davor, den Kampf gegen die Wassermassen zu verlieren. Außerdem fingen die Scheiben an zu beschlagen, und Calis drehte die Lüftung auf volle Kraft, während er versuchte, draußen etwas zu erkennen. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein. Das Ende der Autobahn kam näher und damit die Miquelallee, die nach wenigen Häuserblöcken in die Adickesallee überging.
Das große, kastenförmige Eckhaus, in dem die Kriminaldirektion des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main residierte, war nicht zu übersehen. Ein mehrstöckiger granitgrauer Klotz mit dem Charme einer JVA , gebaut mit der architektonischen Phantasie eines Sechsjährigen.
»Dagegen ist der Knast in Moabit ein bauliches Juwel«, brummte Calis, nachdem er das obligatorische »Sie haben Ihr Ziel erreicht« gehört und an einer roten Ampel vergeblich nach einer Abbiegespur gesucht hatte. Also fuhr er geradeaus weiter und hoffte auf die nächste Kreuzung.
Vergeblich. Auch an der nächsten und übernächsten Kreuzung gab es keine Möglichkeit, links abzubiegen. Der Bau der Kriminaldirektion war längst im Rückspiegel entschwunden, und Calis fuhr noch immer durch den Platzregen geradeaus in Richtung Innenstadt.
»Sag, dass das nicht wahr ist«, murmelte er verzweifelt, als er an den langen Kolonnen entlangrollte, die sich in Richtung Autobahn auf der Gegenspur stauten. Der Weg zurück zu seinem Ziel würde eine halbe Stunde dauern, wenn er jetzt nicht schleunigst eine Möglichkeit zum Abbiegen fand.
Doch in diesem Moment ging die gemalte Doppellinie in der Straßenmitte in eine erhöhte Plastiksperre über, aus der flexible Fähnchen mit Rückstrahlern ragten. Um sicherzustellen, dass niemand aus schierer Hoffnungslosigkeit hier wendete oder gar links abbog.
Als sich auf wundersame Weise eine Lücke im Gegenverkehr öffnete, fackelte der Kommissar nicht lange, riss das Steuer herum und rumpelte über die Plastiksperre. Vom Unterboden des Golfs kam ein seltsames Geräusch, das Calis geflissentlich ignorierte.
Endlich in der richtigen Richtung unterwegs, sagte er sich triumphierend. Wenn auch im Schritttempo. Der Blick auf die Uhr verriet nichts Gutes. Kurz nach halb sechs. Viel zu spät. Aber nach drei Ampeln würde auch diese Odyssee zu Ende sein. Calis schwor sich, das nächste Mal in der Fahrbereitschaft nicht nach dem erstbesten Autoschlüssel zu
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