Heiße Beute
haben sich scheiden lassen, und Evelyn ist mit Annie abgehauen.«
»Jeanne Ellen arbeitet also jetzt für Soder. Das hat seine Logik. Die Kaution hat wahrscheinlich Sebring gestellt, oder? Jeanne Ellen ist für Sebring tätig. Sebring selbst darf nicht nach Evelyn suchen, aber er kann Soder empfehlen, Jeanne Ellen damit zu beauftragen. Ein vermisstes Kind, das ist doch ein gefundenes Fressen für Jeanne Ellen. Die setzt sich doch immer gerne voll und ganz für eine Sache ein.«
»Woher weißt du so viel über Jeanne Ellen?«
»Alle Welt weiß Bescheid über Jeanne Ellen«, sagte Vinnie.
»Sie ist eine lebende Legende. Du wirst ganz schön auf die Nase fallen.«
Dieser Jeanne-Ellen-Kult nervte langsam.
»Ich muss los«, sagte ich. »Ich habe einiges zu erledigen. Ich bin nur vorbeigekommen, um mir Handschellen auszuleihen.«
Alle drei sahen mich milde erstaunt an.
»Brauchst du schon wieder neue Handschellen?«, fragte Vinnie.
Ich erwiderte mit meinem postmenstrualen Stresssyndromblick. »Irgendwelche Probleme damit?«
»Nein, wo denkst du hin«, sagte Vinnie. »SM gehört doch heute zum guten Ton. Ich stelle mir einfach vor, dass du irgendwo einen nackten Mann gefesselt hast. Das ist tröstlicher als der Gedanke, dass einer meiner Kautionsflüchtlinge mit deinen Handschellen durch die Gegend läuft.«
Ich stellte meinen Honda auf dem Mieterparkplatz ab, hinten, neben den Mülltonnen, und ging die kurze Strecke zum Hauseingang zu Fuß. Soeben hatte sich Mr. Spiga mit seinem zwanzig Jahre alten Oldsmobile auf einen der heiß begehrten Behindertenstellplätze direkt neben der Tür gestellt, den Berechtigungsausweis stolz hinter die Windschutzscheibe geklemmt. Mr. Spiga war über siebzig, Rentner nach einem Arbeitsleben in der Knopffabrik und erfreute sich, abgesehen von seiner Abhängigkeit von Abführmitteln, bester Gesundheit. Zu seinem Glück ist seine Frau offiziell blind und nach einer misslungenen Hüftoperation auch noch lahm. Das allerdings unterscheidet ihn auch nicht groß von dem Rest der Rentnermeute. Die Hälfte der Leute in meinem Haus hat sich ein Auge ausgestochen oder ist über die eigenen Füße gestolpert, um den amtlichen Behindertenstatus zu erlangen.
»Schön heute, nicht?«, sagte ich zu Spiga.
Er griff nach einer Einkaufstüte auf dem Rücksitz. »Haben Sie in letzter Zeit mal Rinderkamm gekauft? Wer legt in diesem Land eigentlich die Fleischpreise fest? Wie soll man sich da noch etwas zu essen leisten? Und warum ist das Fleisch so rot? Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es nur außen rot ist? Die besprühen es mit irgendwas, damit man glaubt, es sei frisch. Ich sage Ihnen, die Lebensmittelindustrie ist am Ende.«
Ich hielt ihm die Haustür auf.
»Noch etwas«, fuhr er fort. »In diesem Land haben die meisten Männer Brüste. Das kommt von den Hormonen, die man den Rindern ins Futter gibt. Wenn man die Milch von diesen Kühen trinkt, wachsen einem Brüste.«
Ach, wenn es doch nur so einfach wäre, dachte ich.
Die Aufzugtür öffnete sich, und Mrs. Bestier schaute heraus. »Aufwärts«, sagte sie.
Mrs. Bestier war ungefähr zweihundert Jahre alt und spielte gern den Fahrstuhlführer.
»Erster Stock, bitte«, sagte ich zu ihr.
»Erster Stock, Damenhandtaschen und modische Oberbekleidung«, sang sie fröhlich und drückte den Knopf.
»Lieber Himmel«, sagte Mr. Spiga. »Hier laufen ja bald nur noch Verrückte herum.«
Nachdem ich meine Wohnung aufgeschlossen hatte, sah ich als Erstes auf meinem Anrufbeantworter nach. Ich arbeite mit einem geheimnisumwitterten Kopfgeldjäger zusammen, bei dem ich weiche Knie kriege und der mir gegenüber sexuelle Andeutungen macht, aber nie zur Sache kommt. Außerdem befinde ich mich momentan in der Abflauphase einer mal aufflammenden, dann wieder abflauenden Beziehung zu einem Polizisten, den ich – irgendwann, aber nicht jetzt – mal heiraten könnte. So viel zu meinem Liebesleben. Mit anderen Worten, mein Liebesleben ist eine einzige Pleite. An meine letzte Verabredung mit einem Mann kann ich mich nicht mehr erinnern, mein letzter Orgasmus muss in der Steinzeit gewesen sein, und auf meinem Anrufbeantworter waren keine Nachrichten.
Ich ließ mich aufs Sofa plumpsen und schloss die Augen. Mein Leben war im Eimer. Eine halbe Stunde gab ich mich dem Selbstmitleid hin, und gerade wollte ich aufstehen und unter die Dusche gehen, da klingelte es an der Tür. Ich ging hin und schaute durch den Spion. Es war keiner da. Ich machte wieder
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