Heiße Beute
wird.«
Wir ließen uns von dem Besucherstrom durch das Haupttor bis in den Bauch der Tribüne treiben. Das erste Rennen war bereits gelaufen, in der Schalterhalle für Wettscheine herrschte Nervosität und strenger Schweißgeruch. Die Luft war zum Schneiden, erfüllt von kollektiver Angst und Hoffnung und dem Nervenkitzel, der einen auf Rennbahnen befällt.
Lula rollte die Augen mal hierhin, mal dorthin, unsicher, wohin sie zuerst gehen, welchen widerstreitenden Verlockungen sie erliegen sollte, den Nachos, dem Bier oder dem Schalter für Fünf-Dollar-Einsätze.
»Wir brauchen eine Rennzeitung«, sagte sie. »Wie viel Zeit haben wir noch? Ich will dieses Rennen auf keinen Fall versäumen. Guck mal, ein Pferd, das heißt Entscheidungsträger. Das ist ein Wink Gottes. Zuerst mein Horoskop, und jetzt das hier. Mein Schicksal hat es so gewollt, dass ich heute hier herkommen sollte und auf dieses Pferd setze. Macht Platz. Lasst mich durch.«
Ich stand mitten im Raum und wartete auf Lula, die sich einen Wettschein kaufte. Um mich herum Menschen, die nur ein Thema kannten, Pferde und Jockeys, Menschen, die im Augenblick lebten, die jede Abwechslung liebten. Ich dagegen konnte mir keine Ablenkung leisten. Ich dachte nur an Abruzzi. Er verfolgte mich. Er jagte mir Angst ein. Er bedrohte mich. Und ich, ich war stinkwütend. Ich hatte die Faxen dicke. Lula hatte Recht, Benito Ramirez war ein grausamer Sadist gewesen. Und was Abruzzi betraf, auch in dem Punkt hatte sie Recht: Es war keine gute Idee, ihn zur Rede zu stellen. Aber versuchen wollte ich es trotzdem. Ich konnte nicht anders. Natürlich musste ich ihn zuerst mal finden, und das würde nicht so einfach wie ursprünglich angenommen. Ich hatte vergessen, wie riesig das Areal der Rennbahn war, wie viele Menschen hier zusammenkamen.
Die Glocke für die Schließung der Wettschalter ertönte, und Lula kam zu mir gerannt. »Ich habe einen gerade noch rechtzeitig geschafft. Wir müssen uns beeilen, damit wir noch einen Platz ergattern. Ich will das Rennen nicht verpassen. Ich weiß, dass mein Pferd gewinnen wird, auch wenn es ein Außenseiter ist. Heute Abend gehen wir beide groß essen, ich lade dich ein.«
Wir fanden zwei freie Plätze auf der Haupttribüne und sahen die Pferde die Startbox betreten. Wenn ich noch meinen eigenen Honda CRV gehabt hätte – da wäre ein Opernglas im Handschuhfach gewesen. Leider war das Opernglas jetzt ein Batzen aus geschmolzenem Glas und Metall, vermutlich komprimiert auf die Größe einer Münze.
Systematisch suchte ich mit den Augen die Menschenmenge nach Abruzzi ab. Die Pferde liefen los, und die Menge brandete nach vorne, die Menschen schrieen, wedelten mit den Programmheften. Es war unmöglich, irgendwas zu erkennen, es war ein einziges Farbenmeer. Lula neben mir kreischte und hüpfte auf und ab.
»Los, du Scheißkerl, nun mach schon«, schrie sie. »Los, komm, streng dich an, du Lahmarsch!«
Schwer zu sagen, was ich mir wünschte. Einerseits wünschte ich ihr, dass ihr Pferd gewann, andererseits befürchtete ich, dass dann ihre Marotte mit dem Horoskop nur noch schlimmer werden würde.
Jetzt liefen die Pferde in die Zielgerade ein, und Lula kreischte wie wild. »Ja«, schrie sie. »Ja. Ja. Ja.«
Ich wandte mich ihr zu. »Du hast gewonnen, stimmt’s?«
»Da kannst du einen drauf lassen. Ich habe das große Los gezogen.
Zwanzig
zu eins. Ich muss die Einzige sein in dem ganzen irren Trubel hier, die genialerweise auf dieses vierbeinige Laufwunder gesetzt hat. Und jetzt hole ich mir meinen Gewinn ab. Kommst du mit?«
»Nein. Ich warte hier. Ich will nach Abruzzi Ausschau halten, jetzt, wo sich die Menge allmählich zerstreut.«
13
Ich sah die Menschen von der Tribüne alle nur von hinten, das war das Problem. Ist es schon nicht leicht, einen vertrauten Menschen auf diese Weise zu erkennen, umso schwieriger jemanden, den man nur bei zwei Gelegenheiten kurz gesehen hat.
Lula ließ sich auf den Platz neben mir plumpsen. »Du glaubst es nicht«, sagte sie. »Gerade habe ich dem Leibhaftigen in die Augen geschaut.« Sie hielt ihren Wettschein fest umklammert, mit der freien Hand bekreuzigte sie sich. »Du lieber Himmel. Jetzt sieh sich einer das an. Ich bekreuzige mich. Was soll das? Ich bin Baptistin. Baptisten machen nicht dieses Brimborium ums Kreuz.«
»In die Augen des Leibhaftigen?«, fragte ich.
»Abruzzi. Abruzzi ist mir über den Weg gelaufen. Ich hatte mir gerade mein Geld abgeholt und eine neue Wette
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