Heiße Beute
davon.
Lula wartete am Durchgang, der zu unseren Plätzen auf der Tribüne führte. »Was hast du zu ihm gesagt?«
»Dass er beim vierten Rennen auf ›Sahnehäubchen‹ setzen soll.«
»Das kannst du mir nicht erzählen«, sagte Lula. »So erbleichen sieht man einen Mann nicht alle Tage.«
Als ich an meinen Platz kam, schlotterten mir die Knie, und meine Hände zitterten so schlimm, dass ich mein Programmheft kaum halten konnte.
»Lieber Gott«, sagte Lula. »Du kriegst mir doch nicht am Ende noch einen Herzinfarkt.«
»Mir geht es gut«, sagte ich. »Das macht nur die Aufregung wegen der Pferderennen.«
»Ja, ja, so was habe ich mir schon gedacht.«
Ein hysterisches Kichern entwich meinem Mund »Du musst nicht denken, dass Abruzzi mir Angst eingejagt hätte.«
»Klar. Du hast vor nichts Angst«, sagte Lula. »Du bist eine knallharte, abgebrühte Kopfgeldjägerin.«
»Jawohl. Genau«, sagte ich. Dann konzentrierte ich mich auf meine Hyperventilation.
»Das sollten wir öfter machen«, sagte Lula, nachdem sie aus meinem Wagen gestiegen war und ihren Trans Am aufschloss.
Ihr Wagen stand am Straßenrand, gegenüber vom Büro. Das Büro war geschlossen, aber der neue Buchladen nebenan hatte geöffnet. Die Lichter brannten, und im Fenster sah ich Maggie Mason Bücherkisten auspacken.
»Das letzte Rennen war ein Rückschlag für mich«, sagte Lula, »aber davon abgesehen, ist es heute prima für mich gelaufen. Ich lass es einfach ruhig angehen. Das nächste Mal fahren wir nach Freehold, da brauchen wir auch keine Angst zu haben, deinem Intimfeind über den Weg zu laufen.«
Lula fuhr los, ich blieb da. Jetzt war ich in der gleichen Situation wie Evelyn. Ich hatte keinen sicheren Ort, an den ich mich zurückziehen konnte. Weil mir nichts Besseres einfiel, ging ich ins Kino. Nach der Hälfte des Films verließ ich den Saal wieder, stieg ins Auto und fuhr nach Hause. Den Honda stellte ich auf den Mieterparkplatz, schloss ihn ab und begab mich schnurstracks zum Hintereingang, der zur Halle im Erdgeschoss führte. Mit dem Aufzug schwebte ich in den ersten Stock, zockelte den Flur entlang und schloss die Tür zu meiner Wohnung auf. Einmal tief Luft geholt und rein ging es. Es war sehr still. Und dunkel.
Ich machte das Licht an, erst eins, dann alle Lichter, die ich hatte. Dann schlenderte ich von Zimmer zu Zimmer, vermied jeden Kontakt mit dem verlausten Sofa. In der Küche holte ich sechs Plätzchen aus der Tüte mit tiefgefrorenen Schokoladenbacklingen und legte sie auf ein Blech. Ich schob sie in den Backofen, stellte mich davor und wartete.
Nach fünf Minuten roch es im ganzen Haus nach Selbstgebackenem. Durch den Backdunst aufgeputscht, stiefelte ich ins Wohnzimmer und betrachtete das Sofa. Das Sofa war wunderbar. Keine Flecken. Keine Abdrücke von Leichen.
Siehst du, Stephanie, sagte ich mir. Das Sofa ist einwandfrei. Es gibt keinen Grund, sich vor dem Sofa zu gruseln.
Ha!, raunte mir eine unsichtbare Irma ins Ohr. Totenläuse kann man mit bloßem Auge nicht erkennen. Das weiß doch jedes Kind. Glaub mir, auf deinem Sofa tummeln sich die fettesten Totenläuse, die es gibt. Die Totenlaus aller Totenläuse hat ihr Revier auf deinem Sofa aufgeschlagen.
Ich wollte Platz nehmen auf dem Sofa, aber ich vermochte nicht, mich dazu durchzuringen. In meinem Kopf bildeten Soder und das Sofa eine untrennbare Einheit. Mich auf das Sofa setzen? Da hätte ich mich auch gleich auf Soders abgesägtem Schoß niederlassen können. Die Wohnung war zu klein für uns beide, das Sofa und mich. Einer von uns beiden musste weichen.
»Tut mir Leid«, sagte ich zu dem Sofa. »Nimm es nicht persönlich, aber du gehörst der Vergangenheit an.« Mit dem Rücken an einer Lehne schob ich das Sofa quer durchs Wohnzimmer in den kleinen Flur vor der Küche und weiter durch die Wohnungstür nach draußen in den Hausflur. An der Wand zwischen meiner und Mrs. Karwatts Wohnung stellte ich es ab. Danach eilte ich zurück in meine Wohnung, schloss die Tür hinter mir ab und stieß einen Seufzer aus. Mir war ja bewusst, dass es in Wirklichkeit keine Totenläuse gab. Vernunftmäßig ist das leider eine unumstößliche Tatsache. Totenläuse sind eine rein emotionale Geschichte.
Ich holte die Plätzchen aus dem Backofen, verteilte sie auf einen Teller und trug sie ins Wohnzimmer. Ich schaltete den Fernseher ein und fand sogar einen interessanten Film. Von Totenläusen an Fernbedienungen hatte Irma nicht gesprochen, deswegen ging ich mal davon
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