Heiße Hüpfer
Kerl nicht schlafen, Erzkanzler«,
sagte der Dekan. »Er kam hierher, um sich ein Buch zu holen…«
Ponder sah zur Tür der Bibliothek. Sie war mit einem breiten Streifen
aus schwarzem und gelbem Klebeband versehen sowie einem Schild mit
folgender Botschaft: »Gefahr, auf keinen Fal eintretigen.« Es hing nun
schief, und die Tür stand einen Spalt offen. Was keine Überraschung
war. Ein Zauberer, der mit Schildern in der Art von »Diese Tür darf
nicht geöffnet werden! Wirklich nicht! Wir meinen es ernst! Wer diese
Tür öffnet, beschwört damit das Ende des Universums herauf!«
konfrontiert war, öffnete die betreffende Tür ganz automatisch, um zu sehen, was das Theater sollte. Dadurch wurden Schilder natürlich
sinnlos, aber wenn man den trauernden Verwandten das reichte, was von
dem Zauberer übriggeblieben war, konnte man ihnen bei der Übergabe
der Urne sagen: »Wir haben ihn gewarnt.«
In der Dunkelheit jenseits der Tür herrschte Stille.
Ridcully streckte den Zeigefinger und schob das Portal vorsichtig ein
wenig weiter auf.
Irgend etwas flatterte, und die Tür wurde abrupt zugestoßen. Die
Zauberer sprangen erschrocken zurück.
»Sei vorsichtig, Erzkanzler«, mahnte der Professor für unbestimmte
Studien. »Ich wol te vorhin hineingehen und habe dabei festgestel t, daß
die Sektion der Kritischen Aufsätze überkritisch geworden ist!«
Blaues Licht flackerte unter der Tür hindurch.
An einem anderen Ort hätte viel eicht jemand gesagt: »Es sind doch
nur Bücher! Und Bücher können nicht gefährlich werden!« Aber schon
gewöhnliche Bücher sind gefährlich, und nicht nur jene mit Titeln wie Plastiksprengstoff professionell hergestellt. Ein Mann sitzt irgendwo in einem Museum und schreibt ein harmloses Buch über politische Ökonomie,
und plötzlich sterben Tausende von Menschen, die es nicht einmal
kennen – weil jene, die es gelesen haben, den Witz nicht verstanden
haben. Wissen ist gefährlich, deshalb greifen Regierungen manchmal hart
gegen Leute durch, die Gedanken oberhalb eines gewissen Kalibers
denken können.
Die Bibliothek der Unsichtbaren Universität war magischer Natur und
erstreckte sich in einem sehr dünnen Bereich der Raum-Zeit. In fernen
Regalen ruhten Bücher, die noch gar nicht geschrieben waren und
vielleicht auch nie geschrieben wurden. Zumindest nicht hier. Der
Umfang dieser besonderen Bibliothek betrug einige hundert Meter, aber
ihr Radius war unendlich.
Magische Kraft entwich aus den Büchern, und unter bestimmten
Voraussetzungen konnten sie sich gegenseitig lesen…
»Sie haben damit begonnen, jeden anzugreifen, der über die Schwel e
tritt«, stöhnte der Dekan. »Niemand kann sie kontrollieren, solange der
Bibliothekar abwesend ist!«
»Aber wir sind eine Universität!« erwiderte Ridcully. »Wir brauchen eine Bibliothek. Das gehört einfach dazu. Was wären wir für Leute, wenn wir
nicht mehr in die Bibliothek gingen?«
»Studenten«, sagte der Oberste Hirte verdrießlich.
»Ha, ich weiß noch, als ich Student war«, meinte der Dozent für neue
Runen. »Der alte ›Butzemann‹ Lehrgut nahm uns mit auf eine
Expedition, um das Verlorene Lesezimmer zu finden. Drei Wochen lang
wanderten wir umher. Wir mußten unsere eigenen Stiefel essen.«
»Und habt ihr das Zimmer entdeckt?« erkundigte sich der Dekan.
»Nein, aber wir fanden die Reste jener Expedition, die im vorherigen
Jahr aufgebrochen war.«
»Und?«
»Wir haben auch ihre Stiefel verspeist.«
Hinter der Tür erklang leises Knattern, wie von ledernen Einbänden.
»Dort drin gibt es einige ziemlich gemeine Grimoires«, sagte der
Oberste Hirte. »Sie können einem glatt den Arm abbeißen.«
»Ja, aber wenigstens wissen sie nicht über Türknäufe und dergleichen
Bescheid«, entgegnete der Dekan.
»Das könnte sich bald ändern, fal s es da drin ein Buch mit dem Titel
Türknäufe für Anfänger gibt«, gab der Oberste Hirte zu bedenken. »Sie lesen sich gegenseitig.«
Der Erzkanzler sah Ponder an. »Könnte ein solches Buch tatsächlich
existieren, Stibbons?«
»Nach der Theorie des B-Raums ist das praktisch sicher.«
Die Zauberer nahmen diesen Hinweis zum Anlaß, von der Tür
zurückzuweichen.
»Einen solchen Unfug dürfen wir nicht zulassen«, verkündete Ridcul y.
»Wir müssen den Bibliothekar heilen. Es ist eine magische Krankheit.
Wir sollten also ein magisches Heilmittel finden können.«
»Das wäre außerordentlich gefährlich, Erzkanzler«, sagte
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