Heiße Nächte in Mexiko - Roberts, N: Heiße Nächte in Mexiko
gewesen wäre. Ihr war klar geworden, dass der Tag und der Tauchgang lange nicht so entspannt werden würden, wie es anfangs ausgesehen hatte. Sie hob den Deckel der Sitzbank an und holte zwei kurze metallene Röhren aus der Kiste, die wie kleine Baseballschläger geformt waren. Eine davon reichte sie Jonas.
„Wofür sind die gut?“, fragte er.
„Zusätzliche Versicherung.“ Sie setzte ihre Maske auf die Stirn. „Wir gehen runter in die Höhlen, wo die Haie schlafen.“
„Haie schlafen nicht.“
„Der Sauerstoffgehalt im Wasser der Höhlen stellt sie ruhig, aber bilde dir nicht ein, du könntest ihnen trauen.“
Ohne weiteres Wort schwang sie sich über den Bootsrand und stieg die Leiter hinunter.
Das Wasser war kristallklar. Hier hatte man eine Sichtweite von bis zu vierzig Metern. Als Liz Jonas neben sich ins Wasser fallen hörte, drehte sie sich zu ihm um, nur um sich zu vergewissern, dass er wirklich wusste, worauf er sich einließ. Ihr skeptischer Blick entging ihm nicht. Mit Daumen und Zeigefinger gab er ihr das Okayzeichen, dann deutete er nach unten.
Er war angespannt. Liz konnte es spüren, auch wenn sie wusste, dass es nichts mit seinen Fähigkeiten beim Tauchen zu tun hatte. Sein Bruder war hier auch getaucht, mindestens einmal. Dessen war sie so sicher wie Jonas. Der Grund für Jerrys Tauchgänge war auch der Grund, weshalb er umgebracht worden war. Nein, sie dachte nicht länger daran, dass sie wütend war. In einer Geste, die so intim und persönlich war wie ein Kuss, streckte sie ihre Hand aus und drückte Jonas’ Finger.
Er war dankbar dafür, schloss seine Hand um ihre. Er wusste nicht, wonach genau er suchte. Wusste nicht einmal, warum er noch weitersuchte, wenn er doch schon mehr gefunden hatte, als ihm lieb war. Sein Bruder hatte nach eigenem Belieben mit den Regeln jongliert und das Spiel verloren. Manche würden vielleicht sagen, es sei ausgleichende Gerechtigkeit. Aber sie waren Brüder gewesen, waren zusammen aufgewachsen. Er musste weitersuchen, und er musste weiter hoffen.
Liz sah den ersten der Teufelsrochen und zog leicht an Jonas’ Hand. Ein solches Schauspiel riss sie immer wieder mit. Die riesigen Mantas glitten als Gruppe elegant durchs Wasser auf der Suche nach Plankton. Von den menschlichen Eindringlingen ließen sie sich nicht stören. Liz schwamm vorwärts und schloss sich ihnen für eine Weile an. Mit seinem großen kraftvollen Maul konnte ein Manta sogar Schalentiere aufbrechen und verschlingen. Die Spannweite ihrer Flossen von bis zu sieben Metern und mehr war einfach atemberaubend. Ohne Scheu streckte Liz die Hand aus und streichelte eines der Tiere. Hier im Meer war es so leicht, Freude und Glück zu empfinden. So erging es ihr immer unter Wasser. Ihre Augen strahlten vor Begeisterung, als sie wieder nach Jonas’ Hand griff.
Sie tauchten tiefer hinab, und etwas von Jonas’ Anspannung schwand. Hier unten war Liz anders, wie ihm auffiel. Sie schien heiterer, gelöster zu sein. Von ihr ging eine Leichtigkeit aus, die die Trauer, die eigentlich ständig versteckt in ihren Augen stand, verscheuchte. Sie wirkte frei, und was noch auffälliger war, glücklich. Glücklicher, als Jonas sie je gesehen hatte. Falls es überhaupt möglich war, sich innerhalb weniger Momente zu verlieben, dann verliebte Jonas sich jetzt in diesem Moment, mehr als zehn Meter unter der Wasseroberfläche, in eine Nixe, die vergessen hatte, wie man träumte.
Alles, was sie erblickte, alles, was sie anfassen konnte, faszinierte sie. Er erkannte es an ihren Bewegungen, an der Art, wie sie alles genauestens studierte, als wäre es ihr erster Tauchgang. Hätte es eine Möglichkeit gegeben, wäre er mit ihr hier unten geblieben, umgeben von Liebe und beschützt von phantomgleichen Lebewesen.
Sie schwammen immer tiefer hinunter, ließen sich Zeit. Wenn etwas Böses hier seinen Lauf genommen, hier angefangen oder geendet hatte, dann hatte es keine Spuren hinterlassen. Das Meer war ruhig und still und voll von buntem Leben. Leben, das zu zart und fragil war, um an Land existieren zu können.
Als der Schatten über sie hinwegschwamm, schaute Liz auf. In all der Zeit, die sie nun tauchte, hatte sie nie etwas so Spektakuläres gesehen. Tausende von silbernen Fischen zogen in einem Schwarm über ihr durch das Wasser, so dicht aneinandergedrängt, dass sie ebenso ein einzelnes Wesen hätten sein können. Die Augen vor Entzücken weit aufgerissen, streckte Liz die Arme in die Höhe und ließ sich
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