Heiße Schatten
in die Beine. Ich leere weitere Regalräume, und überall finde ich geheime Kammern. Aber es ist nichts darin. Trotzdem ist offensichtlich: Die einzige Funktion, die diese doppelten Wände haben können, ist Schmuggel! Wie ein Blitz trifft mich diese Erkenntnis! Wo ist Konstantin jetzt?
Ich renne zurück zu Giulio. »Wo ist Konstantin?«, schreie ich ihn heftiger an, als ich will.
»Das sage ich dir nicht!«, gibt er zurück, ohne mir in die Augen zu blicken. Er ist sehr angespannt. Auf einem Bildschirm ist schemenhaft der Hafen von Algier zu sehen, es wird schon weniger hell, wir haben inzwischen Nachmittag. Dahinter legt sich die Stadt wie ein weißer Teppich auf den flachen Hügel.
Der Polizeifunk spuckt Sprachfetzen in den Raum, die wie Befehle klingen. In Verbindung mit den Worten »Razzia« und dem Polizeifunk von vorhin bekomme ich Angst. Nein, bitte nicht!
»Ist Konstantin noch an Bord?« Vor Verzweiflung überschlägt sich meine Stimme fast, als ich eine Hand auf seine Schulter lege, um ihn zu mir herumzudrehen. Giulio zieht den Arm zurück und antwortet mir nicht. Er setzt ein Paar Kopfhörer auf und konzentriert sich dann ganz auf das, was über Funkt zu ihm dringt. Damit ist es klar: Konstantin ist in Algier. Mit Schmuggelware. Und die Polizei ist auch da.
»Um Gottes willen, kannst du ihn erreichen? Er wird in die Razzia geraten!«, schreie ich ihn an.
»Nein«, dreht Giulio sich nun zu mir um, »ich habe den Kontakt verloren. Er ist alleine.«
Wo sind denn die Beiboote auf diesem verdammten Schiff? Bestimmt bin ich schon hundertmal an ihnen vorbeigekommen, aber bewusst wahrgenommen hatte ich sie noch nicht. Wo bisher Konstantins graues Zodiac-Schlauchboot am hinteren Schiff befestigt war, sind jetzt nur leere Seile. Gibt es Rettungsboote? Dort – natürlich. Die Plane ist schnell abgedeckt, aber jetzt muss das Ding auch noch zu Wasser gelassen werden. Ist das schwierig! Ich habe keine Ahnung, wie ich das schaffen soll.
Die Boote hängen an Seilen, die über eine Winde mit einer Halterung auf dem Schiffsdeck verbunden sind. Es sind doch Rettungsboote, die muss man doch eigentlich schnell und einfach zu Wasser lassen können! Ich ziehe mit dem Mut der Verzweiflung irgendeinen Bolzen aus etwas, das wie eine Sicherungsrolle aussah. Krachend sacken die vorderen Halteseile ab. Das Rettungsboot hängt fürchterlich schief über der Reling. Ok, nun die nächsten. Mit einem lauten Platschen schlägt das kleine Boot neben der Jacht aufs Wasser.
Wie komme ich jetzt an Bord? Und wie geht’s dann weiter? Das Boot hat einen kleinen Außenborder, der wird wohl ausreichen. Wenn ich das richtig sehe, durchquert Giulio die Drei-Meilen-Zone, weicht aber seitlich ab. Die Hälfte der Strecke liegt schon hinter uns. Er fährt ohne Lichter, leise, im Schneckentempo auf Algier zu. Anscheinend überwiegt die Notwendigkeit jede Furcht vor einem Aufgriff durch die algerische Küstenwache. Lässt er sich einfach auf die Küste zutreiben? Die Richtung stimmt nicht, ist mein Eindruck. Jedenfalls ist er viel zu langsam – Konstantin wird sterben!
Ich hangele mich an den Seilen ins Boot. Meine Handflächen brennen, Blasen bilden sich und platzen sofort auf. Beide Hände bluten. Vor Schmerz schießen mir Tränen in die Augen. Egal, ich habe jetzt keine Zeit, zimperlich zu sein. Ich werde einfach später ein Aloe-Vera-Blatt darauf ausdrücken, das heilt jede Wunde in Rekordzeit. Jetzt muss ich Konstantin warnen, schlimmstenfalls retten. Was tut Giulio da eigentlich? Wie kann er ihn nur so hängen lassen?
Mir ist egal, was er schmuggelt! Konstantin ist in Lebensgefahr! Nordafrikanische Polizei ist nicht für ihre Fairness bekannt, schon gar nicht gegenüber internationalen Schmugglern. Am Ende werfen sie ihn in ein Gefängnis ohne Wasser und mit Ratten. Er darf einfach nicht in die Razzia geraten, um dann elendig in einem algerischen Gefängnis zu sterben. Womöglich wird er zuvor sogar gefoltert. Vielleicht erschießen sie ihn auch einfach, um sich internationale Verwicklungen zu ersparen. Nichts ist leichter, als eine unbekannte Leiche im Hafenbecken verschwinden zu lassen.
Ich gerate in Panik. Gleichzeitig setzen die Angst um ihn und die schrecklichen Bilder in meinem Kopf ungeahnte Kräfte in mir frei, Bilder eines blutenden, misshandelten, sterbenden Konstantin.
Wie geht dieser Außenborder an? Zwar habe ich jetzt einige Wochen auf einem Schiff zugebracht, der ganzen Technik aber keinerlei Beachtung geschenkt. Ich
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